Darf die Polizei das Verfallsdatum von Erste-Hilfe-Materialien überprüfen?
Vor einiger Zeit hatte ich einen Beitrag mit dem Titel „Müssen Autofahrer der Polizei Verbandskasten und Warndreieck vorzeigen?“ verfasst. In einer interessanten Leseranfrage kam jetzt das Thema auf, ob die Polizei berechtigt ist, das Verfallsdatum von Erste-Hilfe-Materialien zu überprüfen.
Die Leseranfrage von Ersthelfer vom 25. April 2013 lautet wie folgt:
Guten Tag meine Damen und Herren,
vielen Dank für diesen schönen Blog, der mir schon sehr viel Klarheit erbracht hat. Als Angehöriger einer Hilfsorganisation, ehrenamtlicher Sanitäter und ehemaliger Erste-Hilfe-Ausbilder interessiert mich das Thema sehr. Selbstverständlich verfüge ich in meinem Auto über eine entsprechende Ausstattung und zeige diese auf Verlangen der Polizei auch vor. Vor allem aber mache ich im Notfall auch Gebrauch davon.
Dennoch ist dieses Thema für mich auch ein Stück weit ein Ärgernis. Daher möchte ich als in juristischen Dingen Unkundiger das Thema gerne um einen Aspekt erweitern, den man manchmal bei Polizeikontrollen antrifft. Die Polizei prüft gerne mal, ob das Verfallsdatum der Sterilprodukte überschritten ist. Das Medizinproduktegesetz wird dann als Begründung angeführt.
Mich würde sehr interessieren, ob dies wirklich rechtens ist und die Polizei befugt ist, das MPG gegenüber dem Autofahrer durchzusetzen. Sanitätsdienstlich erscheint mir dieses zumindest fragwürdig, da sowohl Unfallstellen als auch die Ersthelfer vor Ort in der Regel nicht im Geringsten als steril angesehen werden können.
Hinzu kommt, dass nach meiner Erfahrung aus Erste-Hilfe-Kursen die meisten Personen auch nach ordentlicher Ausbildung bereits nach kurzer Zeit vieles wieder vergessen haben und fachlich kaum mehr in der Lage sind, keimarm zu arbeiten. Wenn man dann noch die Hektik und Nervosität im Notfallgeschehen bedenkt, habe ich meine Zweifel, ob die Sterilität von Verbandstoffen beim Verkehrsunfall von großer Relevanz ist.
Zu dieser Anfrage kann ich folgendes sagen:
Das Medizinproduktegesetz (MPG) sieht in § 4 Absatz 1 Nr. 2 MPG vor, dass es verboten ist, Medizinprodukte in den Verkehr zu bringen, zu errichten, in Betrieb zu nehmen, zu betreiben oder anzuwenden, wenn das Datum abgelaufen ist, bis zu dem eine gefahrlose Anwendung nachweislich möglich ist. Dies ist durch § 42 Absatz 2 Nr. 1 MPG auch durch Bußgeld sanktioniert.
Bei einer polizeilichen Kontrolle fehlt es jedoch an den Voraussetzungen dieser Normen. Zu einer Anwendung ist es ja gerade (noch) nicht gekommen, sonst wäre das Verfallsdatum nicht abgelaufen. Eine vorbeugende Sanktionierung mit einem Bußgeld sieht das Medizinproduktegesetz hingegen nicht vor.
Für Medizinprodukte, die gewerblichen oder wirtschaftlichen Zwecken dienen oder in deren Gefahrenbereich Arbeitnehmer beschäftigt sind, gilt die Medizinprodukte-Betreiberverordnung, welche gesonderte Vorschriften für das Instandhalten von Medizinprodukten beinhaltet. Insbesondere sind danach auch sicherheitstechnische Kontrollen durch die zuständigen Behörden möglich.
Ob die Polizei dazu ermächtigt ist, ergibt sich aus den Zuständigkeitsbestimmungen der einzelnen Bundesländer. Grundsätzlich erscheint es mir aber unwahrscheinlich, dass landesrechtliche Bestimmungen sicherheitstechnische Kontrollen nach der Medizinprodukte-Betreiberverordnung durch die Polizei vorsehen. Dies müsste man aber ggf. überprüfen.
Für den Autofahrer ergibt sich aus dem Medizinproduktegesetz kein Bußgeld für das Beisichführen von Erste-Hilfe-Materialien, deren Verfallsdatum abgelaufen ist. (In diesem Zusammenhang könnte man sich im Übrigen auch darüber streiten, ob nach Ablauf des Verfallsdatums nicht auch weiterhin nachweislich eine gefahrlose Anwendung möglich ist, z.B. bei steril verpackten Mullbinden, falls es für diese überhaupt ein Verfallsdatum gibt.)
Aus dem Bußgeldkatalog ergibt sich ebenfalls keine Sanktionierung für das Beisichführen von Erste-Hilfe-Materialien, deren Verfallsdatum abgelaufen ist. In Nr. 206 des Bußgeldkatalogs wird ein Verstoß gegen die Vorschriften der § 35 h StVZO, § 69a Absatz 3 Nummer 7c StVZO sanktioniert. Danach ist bei PKW Erste-Hilfe-Material mitzuführen, das nach Art, Menge und Beschaffenheit mindestens dem Normblatt DIN 13 164, Ausgabe Januar 1998 entspricht.
Ich habe versucht, die DIN 13164 in frei zugänglichen Quellen ausfindig zu machen. Das ist mir allerdings nicht gelungen. Auf verschiedenen Webseiten wird der Inhalt der DIN 13164 wie folgt wiedergegeben:
1 Heftpflaster, DIN 13019-A, 5 m x 2,5 cm
8 Wundschnellverbände, DIN 13019-E, 10 cm x 6 cm
3 Verbandpäckchen, DIN 13151-M
1 Verbandpäckchen, DIN 13151-G
2 Verbandtücher, DIN 13152-BR, 40 cm x 60 cm
1 Verbandtuch, DIN 13152-A, 60 cm x 80 cm
6 Kompressen, 10 cm x 10 cm
2 Mullbinden, DIN 61631-MB-6, 6 cm x 4m, oder Fixierbinden, DIN 61634-FB-6
3 Mullbinden, DIN 61631-MB-8, 8 cm x 4m, oder Fixierbinden, DIN 61634-FB-8
2 Dreiecktücher, DIN 13 168-D
1 Rettungsdecke, 210 x 160cm
1 Erste-Hilfe-Schere, DIN 58279-A 145
4 Einmalhandschuhe, DIN EN 455
1 Erste-Hilfe-Broschüre
Soweit ersichtlich, findet sich darin aber nichts zu Verfallsdaten der Materialien. Ein Bußgeld könnte auch ohnehin nicht auf einen Verstoß gegen die DIN 13164 verhängt werden, da dies gegen den Vorbehalt des Gesetzes verstößt. Danach muss alles Wesentliche vom Gesetzgeber geregelt werden und darf nicht der Verwaltung überlassen werden darf. Die Bezugnahme auf eine DIN-Norm dürfte für die Verhängung eines Bußgeldes einen eindeutigen Verstoß gegen den Gesetzesvorbehalt darstellen und daher gemäß Art. 20 Abs. 3 GG verfassungswidrig und nichtig sein.
Im Ergebnis sehe ich daher keine Rechtsgrundlage für die Verhängung eines Bußgeldes gegen Autofahrer wegen des Beisichführens von Erste-Hilfe-Materialien, deren Verfallsdatum abgelaufen ist.
Was die Kontrollbefugnis der Polizei angeht, erscheint mir diese äußerst zweifelhaft. Die Polizei dürfte kaum für die Überwachung des Medizinproduktegesetzes zuständig sein. Dies hängt aber von den landesrechtlichen Bestimmungen ab, die man ggf. überprüfen müsste.
Guten Tag Herr Sydow,
vielen Dank für den interessanten Artikel. Da schließt sich für mich gleich die Folgefrage an:
Kann die Prüfbescheinigung bei der Hauptuntersuchung verweigert werden, wenn das Verfallsdatum der Erste-Hilfe-Materialien überschritten ist?
Viele Grüße
Georg Weise
Sehr geehrter Herr Weise,
dies ist wiederum eine rechtlich interessante Thematik, ich habe dazu einen Beitrag unter http://www.rug-anwaltsblog.de/2013/05/01/darf-die-prufbescheinigung-bei-der-hauptuntersuchung-verweigert-werden-wenn-das-verfallsdatum-der-erste-hilfe-materialien-uberschritten-ist/ verfasst.
Mit freundlichen Grüßen
Olav Sydow
Danke für den informativen Beitrag. Ich würde jedoch wetten, dass ein Teil der Verwaltungsgerichte der Meinung sein wird, dass abglelaufene Erste Hilfe Materialien als nicht vorhandene (da untaugliche) Materialien ansieht und einen Bußgeldbescheid bestätigen wird.
Wenn man sich einige Urteile vom BVerwG durchließt merkt man ja recht schnell, dass gerade Verwaltungsgerichte unglaublich kreativ werden können, wenns drauf ankommt.
Was die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte angeht, kann ich Ihnen großteils zustimmmen. In Bußgeldverfahren sind aber gemäß § 68 OwiG die Amtsgerichte zuständig. Diese sind zwar mitunter auch kreativ, aber ein Bewusstsein für den Vorbehalt des Gesetzes und den Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“ ist in der Regel schon vorhanden. Mangels gesetzlicher Regelung dürfte daher auch keine Verurteilung zu einem Bußgeld erfolgen.
Das Ablaufdatum zu kontrollieren gehört zum Standard. Wir weisen daraufhin, dass es abgelaufen ist und erneuert werden sollte, obwohl in den meisten Fällen keine Bedenkeb bzgl. der Keimfreihei bestehen. Allerdings hab ich schon relativ aktuelle Verbandkästen gesehen, bei denen ich jede Art der Ersten Hilfe dankend ablehne.
Pflicht ist nur das Mitführen also das Vorhalren entprechender Materialien.
Ich bin ebenfalls ehrenamtlicher Sanitäter, Zugführer im Katastrophenschutz und hauptamtlicher Ausbilder für Erste Hilfe. Die juristische Wertung lasse ich mangels Kompetenz unbewertet. Vielmehr bin ich irritiert über die implizit geäusserte Meinung des Fragestellers, die Anwendung von sterilen Materilien sei nicht nötig, wenn diese in einer „unsterilen“ Umgebung oder von nicht (mehr) geübten Personen verwendet werden. Da zeigt sich doch ein erstaunliches Wissensdefizit. Zudem ist selbst der Fragesteller ganz sicher noch niemals in einer sterilen Umgebung gewesen – nicht einmal ein OP ist steril, sondern sehr sauber und mit weitgehend gefilterter aber bei weitem nicht keimfreier Umgebungsluft. Soll im OP zukünftig also auch unsteril gearbeitet werden? Schön, dass er ehemaliger Ausbilder ist und ein solch sogar gefährliches Halbwissen nicht mehr weitergibt.
Nicht auch den Tatbestand, untaugliche, gefährliche oder abgelaufene Medizinprodukte „für die Anwendung vorzuhalten“, mit einem Bußgeld zu sanktionieren, halte ich für ein grobes Versäumnis des Gesetzgebers, da so Nachlässigkeit in dieser Hinsicht billigend in Kauf genommen wird, während hiervon ebenso wie von den sanktionierten Tatbeständen Gesundheitsgefahren ausgehen können und die körperliche Unversehrtheit des Menschen ein hohes Rechtsgut darstellt.
Hallo Leser,
das ist wohl bisher niemandem aufgefallen. Bei dem im Artikel aufgeführten Erste-Hilfe-Materialien dürfte es zumindest teilweise kein Verfallsdatum im engeren Sinn geben, z.B. Dreiecktücher, Rettungsdecke, Erste-Hilfe-Schere und Erste-Hilfe-Broschüre, jedenfalls solange diese eingepackt sind. Bei den anderen Materialien dürften die Verfallsdaten recht lang sein und möglicherweise auch unterschiedlich. Ansonsten: Falls es wirklich mal drauf ankommt, würde sicherlich jeder Hilfebedürftige hoffen, dass andere Kraftfahrer Erste-Hilfe-Materialien im Kfz mit sich führen, die nicht so alt sind, dass sie zerbröseln! Von daher macht es sicherlich Sinn, in regelmäßigen Abständen den eigenen Verbandskasten zu überprüfen.
Bei Medizinprodukten, die gewerblichen oder wirtschaftlichen Zwecken dienen oder in deren Gefahrenbereich Arbeitnehmer beschäftigt sind, gibt es im Übrigen Sanktionen, dort gilt die Medizinprodukte-Betreiberverordnung.