Müssen Autofahrer der Polizei Verbandskasten und Warndreieck vorzeigen?

Kürzlich hatte ich aufgelistet, welche Weisungen von Polizeibeamten bei einer Verkehrskontrolle zu befolgen sind und welche nicht. Bei der Verpflichtung zum Vorzeigen von Verbandskasten und Warndreieck hat sich eine interessante Diskussion ergeben, welche ich nachfolgend wiedergebe.

Ich hatte in meinem Beitrag „Welche Weisungen von Polizisten müssen Autofahrer bei Verkehrskontrollen befolgen?“ geschrieben, dass Autofahrer verpflichtet sind das Warndreieck vorzuzeigen (§ 53 a Abs. 2 StVZO) und den Verbandkasten vorzuzeigen (§ 35 h StVZO). Genau genommen folgt diese Verpflichtung aus § 36 Abs. 5 StVO.

Leser John Doe schrieb dazu am 3. November 2012 um 13:29 Uhr:

“aus dem Fahrzeug auszusteigen”…ist das wirklich mit dem Wortlaut von § 36 Abs. 5 S. 4 StVO vereinbar?

Auch bezüglich Warndreieck/Verbandskasten vorzeigen, kann ich dem Wortlaut nur die Pflicht zum Mitführen entnehmen. Darf die Polizei dann (verdachtsunabhängig) das Vorzeigen verlagen?

In meiner Antwort führte ich aus:

Wie so häufig bei juristischen Fragestellungen geht es um eine Auslegung der Norm. Nach der Rechtsprechung sind alle unmittelbar zur Durchführung der Kontrolle erforderlichen Weisungen durch § 36 Abs. 5 StVO gedeckt. Darunter fällt sowohl das Aussteigen als auch das Vorzeigen von Warndreieck und Verbandskasten. Die Verkehrskontrollen sind auch ohne konkreten Anlass zulässig, sollen sich aber im Wesentlichen auf Stichproben beschränken.

Daraufhin schrieb Leser John Doe am 3. November 2012 um 16:46 Uhr:

Danke für die Antwort.

Eine kurze Rechtsprechungsrecherche hat aber das Gegenteil von dem von Ihnen Gesagten zum Vorschein gebracht:
OLG Hamm, Beschl. vom 13.03.1979, Az. 3 Ss OWi 450/79:

“Da sich der Betroffene anläßlich der durchgeführten Verkehrskontrolle passiv verhielt und damit entsprechende Ermittlungen der Polizeibeamten verhinderte, war die – soweit ersichtlich – von der Rechtsprechung bisher noch nicht entschiedene Frage zu beantworten, ob die Weigerung des Betroffenen, bei einer Verkehrskontrolle mitführpflichtige Gegenstände den Polizeibeamten auf Verlangen vorzuzeigen, bußgeldbewehrt ist. Der Senat hat diese Frage verneint.

Die §§ 35h und 53a StVZO schreiben zwar vor, daß Warndreieck und Verbandkasten stets mitzuführen sind. § 69a Abs 3 Nr 7c und 19 StVZO bezeichnet ausdrücklich den Verstoß gegen diese Mitführpflichten als Ordnungswidrigkeiten, so daß solche Handlungen gemäß § 24 StVG bußgeldbewehrt sind. Hingegen fehlt eine entsprechende Vorschrift für die Weigerung, auf Verlangen bei Verkehrskontrollen Warndreieck und Verbandkasten vorzuzeigen.

Dies kann auch nicht mit dem Argument gefordert werden, daß eine solche Vorzeigepflicht sich aus der Natur der Sache ergebe, damit den Polizeibeamten überhaupt ermöglicht werde, einen entsprechenden Verstoß zur Anzeige zu bringen.

Denn dann hätte es nicht der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung der §§ 4 Abs 2 S 2, 24 Abs 1 S 2 StVO, 15d Abs 2 S 2 und 18 Abs 5 S 1 StVZO bedurft, wonach Führerschein, Fahrzeugschein, Führerschein zur Fahrgastbeförderung, Ablichtung oder Abdruck einer allgemeinen Betriebserlaubnis nach § 20 StVZO oder Betriebserlaubnis im Einzelfall gemäß § 21 StVZO nicht nur mitzuführen, sondern zusätzlich den zuständigen Personen auf Verlangen auszuhändigen sind.

Der Verstoß gegen diese Pflichten zum Vorzeigen ist ausdrücklich gemäß §§ 69a Abs 1 Nr 5a, 69a Abs 2 Nr 9a, 69a Abs 1, 5c, 69a Abs 2 Nr 9 9c StVZO iVm § 24 StVG bußgeldbewehrt. Weil für die mitführpflichtigen Gegenstände wie Warndreieck und Verbandskasten eine Vorzeigepflicht nicht besteht, kann die Weigerung des Betroffenen, diese Gegenstände vorzuzeigen, nicht als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.” (OLG Hamm aaO., juris-Rn. 6).

In meiner Antwort habe ich ausgeführt:

Vielen Dank für diesen ausführlichen Kommentar, ich habe ihn zum Anlass genommen, dies zum Gegestand eines Blogbeitrags zu machen und lasse mich gerne eines Besseren belehren. Als Verteidiger würde ich in einem solchen Fall sicherlich auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm Bezug nehmen.

Diese Rechtsprechung bezog sich aber auf die damals geltende Fassung von § 36 Abs. 5 S. 1 StVO.  Diese lautete: „Polizeibeamte dürfen Verkehrsteilnehmer zur Verkehrskontrolle und zu Verkehrserhebungen anhalten.

Daraus hat das Oberlandesgericht Hamm gefolgert, dass unter Weisungen gemäß § 36 Abs. 5 S. 1 StVO nur solche Maßnahmen zu verstehen sind, „die unmittelbar auf den Verkehr einwirken und die aus einem augenblicklichen Verkehrsbedürfnis heraus zur Regelung eines konkreten Verkehrsvorgangs – gegebenenfalls auch im ruhenden Verkehr – ergehen„.

Der Gesetzgeber hat § 36 Abs. 5 S. 1 StVO aber ab dem 1.7.1992 geändert. Er lautet nunmehr: „Polizeibeamte dürfen Verkehrsteilnehmer zur Verkehrskontrolle einschließlich der Kontrolle der Verkehrstüchtigkeit und zu Verkehrserhebungen anhalten.

Nachdem nunmehr auch ausdrücklich die Kontrolle der Verkehrstüchtigkeit mit aufgeführt ist, scheint es mir zweifelhaft, ob die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm insofern noch einschlägig ist.

Vielmehr könnten aber andere Ausführungen des Oberlandesgerichts Hamm rechtlich durchgreifen: Danach ist der Verkehrsteilnehmer „nicht gehalten, in irgendeiner Weise aktiv mitzuwirken, um damit etwa die Überführung einer von ihm begangenen Ordnungswidrigkeit zu ermöglichen. Wie der Täter der Strafvereitelung gemäß § 258 Abs 5 StGB straffrei bleibt, wenn er entsprechende Ermittlungshandlungen erschwert, so kann einem Betroffenen nicht verwehrt werden, Ermittlungshandlungen der Polizei bei einer Verkehrskontrolle durch Passivität zu erschweren oder gar zu verhindern.

In der Tat ist niemand verpflichtet, an seiner eigenen Überführung aktiv mitzuwirken. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 03.03.2004, Aktenzeichen: 1 BvR 2378/98, ausgeführt, dass „im Rahmen des Strafverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen„.

Dies lässt sich auch auf ein Bußgeldverfahren übertragen. Insofern könnte man in einem entsprechenden Bußgeldverfahren unter Berufung darauf möglicherweise sogar erfolgreich eine Verurteilung vermeiden.

Im Verkehrsbereich ist diese Rechtsprechung aber – freundlich formuliert – nur eingeschränkt gültig. Trotz der Aussage, dass niemand verpflichtet ist, an seiner eigenen Überführung mitzuwirken, sind Verkehrsteilnehmer mit höchstrichterlicher Billigung gemäß § 142 StGB verpflichtet, am Unfallort zu verbleiben und die Feststellung ihrer Person, ihres Fahrzeugs und der Art ihrer Beteiligung durch ihre Anwesenheit und durch die Angabe, daß sie an dem Unfall beteiligt sind, zu ermöglichen, auch wenn daraus zwangsläufig ein Strafverfahren oder Bußgeldverfahren folgt.

Auch das Bundesverfassungsgericht hat schon in seiner Entscheidung vom 13.01.1981, Aktenzeichen: 1 BvR 116/77 ausgeführt:

Während das geltende Recht Zeugen, Prozeßparteien und Beschuldigten durchweg ein Schweige- und Aussageverweigerungsrecht für den Fall der Selbstbezichtigung zubilligt, gilt dies nicht in gleicher Weise für solche Personen, die aus besonderen Rechtsgründen rechtsgeschäftlich oder gesetzlich verpflichtet sind, einem anderen oder einer Behörde die für diese notwendigen Informationen zu erteilen. Hier kollidiert das Interesse des Auskunftspflichtigen mit dem Informationsbedürfnis anderer, deren Belange in unterschiedlicher Weise berücksichtigt werden.

Ich bin mir daher nicht sicher, ob ein Bußgeldverfahren am Ende nicht doch zu einer rechtskräftigen Verurteilung führen würde. Schließlich sei auch noch darauf hingewiesen, was das Oberlandesgericht Hamm am Ende seiner Entscheidung vom 13.03.1979, Az. 3 Ss OWi 450/79 geschrieben hat:

Allerdings bleiben die bisherigen Möglichkeiten der Polizei unberührt, unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei entsprechendem Verdacht, der nicht ordnungsgemäßen Ausrüstung Beschlagnahme oder Stillegung des Fahrzeugs anzuordnen.

Dann vielleicht doch lieber Warndreieck und Verbandskasten zeigen, wenn man auf sein Auto angewiesen ist …

Ergänzung: der Leser Mitlesender hat am 3. November 2012 um 21:55 Uhr dankenswerterweise noch auf Folgendes hingewiesen:

§ 31b StVZO bietet die entsprechende “Vorzeigepflicht” auf, auch wenn sie lediglich mit 5,00€ VG sanktionierbar ist.

Da kommt mir wieder die alte Juristenweisheit aus dem Studium in den Sinn: ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. Die entsprechende Bußgeldv0rschriften dazu findet sich in dem unübersichtlichen § 69 a StVZO, genauer gesagt in § 69 a Abs. 5 Nr. 4 b StVZO.

Gemäß Nr. 191 des Bußgeldkatalogs ist in der Tat derzeit eine Geldbuße von 5,- Euro vorgesehen, wenn mitzuführende Gegenstände auf Verlangen nicht vorgezeigt oder zur Prüfung nicht ausgehändigt werden.

Bei fehlendem Verbandskasten gibt es sogar eine spezielle Regelung. Danach  beträgt die Geldbuße bei fehlendem Verbandskasten derzeit für den Führer des PKW gemäß Nr. 206.2 des Bußgeldkatalogs 5,- Euro, für den Halter werden gemäß Nr. 207.2 des Bußgeldkatalogs 10,- Euro fällig.