Eine wirklich traurige Geschichte

In der Presse finden sich heute Berichte über ein Urteil in einem Strafverfahren vor dem Landgericht Mannheim (siehe bei SPON, sueddeutsche.de, stern.de). Dort wurde die Mutter eines neunjährigen Kindes zu einer Freiheitsstrafe von neuneinhalb Jahren wegen Totschlag durch Unterlassen und Misshandlung von Schutzbefohlenen verurteilt.

Was war geschehen? Bei Marcel, einem der drei Kinder von Nathalie B., wurde im Frühjahr 2008 eine unheilbare Erbkrankheit, Adrenoleukodystrophie, diagnostiziert. Den Verlauf dieser Krankheit kann man nur als schrecklich bezeichnen, die neurologischen Funktionen verfallen sehr schnell, was schließlich zur Demenz und dem Verlust der lebenswichtigen Körperfunktionen führt. Bis zum zehnten Lebensjahr tritt regelmäßig der Tod ein.

Den Berichten zufolge führte die Erkrankung bei Marcel ab Herbst 2009 zunächst dazu, dass sich seine Knochen verformten und er nicht mehr gehen konnte und im Rollstuhl sitzen musste. Er wurde dann taub und blind und ist ab Ende 2009 ein Pflegefall, der gewickelt, gewaschen und durch eine Sonde gefüttert werden musste, da er nicht mehr schlucken konnte. Die Schmerzen waren so stark, dass er teilweise die ganze Nacht schrie.

Marcel wurde von seiner Mutter zuhause betreut und gepflegt, wobei die Mutter dies bis Ende 2009 wohl gut hinbekommen hatte. Die Mutter war dann aber durch die Situation überfordert und stellte ab Januar 2010 die Sondenernährung ein. Als sich am 9. April 2011 der Amtsarzt auf Initiative der Urgroßmutter Zutritt zu Marcels Kinderzimmer verschaffte, war dieser auf 14 kg abgemagert und der Körper wund gelegen, teilweise auch offen und entzündet. Marcel wurde ins Universitätsklinikum gebracht, wo er sieben Wochen später starb.

Nathalie B. wurde deshalb nun der Prozess gemacht, der mit einem überharten Urteil von neuneinhalb Jahren Freiheitsstrafe beendet wurde. Der Strafrahmen für einen Totschlag liegt zwischen fünf und 15 Jahren Freiheitsstrafe. Bei der Tatbegehung durch Unterlassen kann die Strafe gemäß §§ 13 Abs. 2, 49 Abs.1 StGB gemildert werden. Davon hat das Landgericht Mannheim anscheinend keinen Gebrauch gemacht.

Bei der Strafzumessung gemäß § 46 StGB gab es eine ganze Reihe von Umständen, die zugunsten der Mutter sprachen. Nach den Berichten ging auch das Landgericht Mannheim davon aus, dass die Pflege des Kindes von der Mutter fast nicht zu bewältigen gewesen sei und machte ihr insofern den Vorwurf, dass sie keine Hilfe angenommen habe.

Zu Gunsten der Mutter wurde danach berücksichtigt, dass sie bereits von Anfang an in aller Öffentlichkeit die Verantwortung übernommen und ihre Schuld eingestanden hatte. Auch wurde das Leben der Mutter am Rande der Gesellschaft und am Rande des Existenzminimums seit Geburt strafmildernd angerechnet, auch dass sie als Kind von ihrem Großvater sexuell missbraucht wurde und dann auch noch auf Unverständnis stieß, als sie sich ihrer Mutter anvertraute. Das Landgericht ging den Berichten zufolge davon aus, dass diese traumatisierende Erfahrung, niemandem Vertrauen schenken zu können, beim Tatgeschehen sicher eine Rolle gespielt habe.

Zu Lasten der Mutter wurde danach das langsame Sterben des Jungen gewertet, auch ein „erschreckendes Maß an Gleichgültigkeit und Mangel an Empathie“ seitens der Mutter. Nach Auffassung des Landgerichts war danach eine geringere Strafe nicht ausreichend, um die Schuld angemessen zu sühnen.

Hält man sich die Kriterien des § 46 StGB und die Umstände des vorliegenden Falles vor Augen, verwundert die Höhe der Strafe hier sehr. Neuneinhalb Jahre Freiheitsstrafe ist praktisch in der Mitte des Strafrahmens, der sich von fünf Jahren bis 15 Jahren Freiheitsstrafe erstreckt. Das Kind litt unter einer schrecklichen und tödlichen Krankheit und massiven Schmerzen, die Mutter war mit der Pflege des Kindes überfordert und aufgrund traumatischer Kindheitserfahrungen wohl nicht in der Lage Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es hätte hier nahe gelegen, die Freiheitsstrafe am unteren Rand des Strafrahmens von fünf Jahren zu bemessen.

Nur zum Vergleich: im Januar 2012 wurde vor dem Landgericht Düsseldorf ein 18 Jahre alter Intensivstraftäter wegen Mord an einem Obdachlosen zu neuneinhalb Jahren Jugendstrafe und der 38-jährigen Komplize wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt.

Nicht nur der Vergleich mit diesem Verfahren zeigt, dass das Landgericht Mannheim mit seinem drakonischen Urteil gegen die Mutter deutlich übers Ziel hinaus geschossen ist.  Ich drücke der Verteidigung und der Mutter beide Daumen für das  Revisionsverfahren.