Das Ruderboot – Freispruch im Nachfassen

Eine kuriose  Wendung nahm ein Fall, bei dem ich heute als Strafverteidiger beim Amtsgericht Potsdam tätig war. Meinem Mandanten war vorgeworfen worden, zusammen mit einer Gruppe anderer Jugendlicher an einem See im Berliner Umland im Sommer 2011 ein dort liegendes Ruderboot entwendet und auf dem See herumgefahren zu sein.

Auf der gegenüber liegenden Seite wollte ein Zeuge meinen Mandanten, den er vom Sehen kannte, dabei erkannt haben, als dieser dort aus dem Ruderboot ausstieg und wegging, während andere mit dem Ruderboot weiterfuhren. Bei diesem Ruderboot soll es sich zufälligerweise um das Ruderboot des Zeugen gehandelt haben, dass er aber dort nicht erkannt haben wollte, weil andere Paddel benutzt wurden. Dieser Zeuge hatte bei der Polizei dann noch ausgesagt, dass er meinem Mandanten wegen seiner speziellen Tätowierung auf einem Oberarm erkannt hätte.

In der Verhandlung kam dann der große Aha-Effekt, mein Mandant hat zwar eine Tätowierung auf dem Oberarm, aber diese sieht völlig anders aus. Die vom Zeugen beschriebene spezielle Tätowierung hat ein anderer Jugendlicher aus dem Ort. Von diesem hatte mein Mandant ein Foto mitsamt dieser speziellen Tätowierung mit. Ein glasklarer Beweis der Unschuld und ein klarer Freispruch sollte man meinen.

Der Zeuge beharrte jedoch darauf, dass er meinen Mandanten anhand seines Gesichts erkannt hätte, auch wenn dies seiner polizeilichen Aussage diametral widersprach, wo er gesagt hatte, er habe ihn anhand der Tätowierung erkannt. An diesem Punkt wurde wieder einmal klar, warum der Zeugenbeweis das unsicherste und schwierigste Beweismittel ist.

Erstaunlicherweise wollte die Staatsanwaltschaft dann tatsächlich noch vom Zeugen auch erst in der gerichtlichen Hauptverhandlung benannte weitere Zeugen hören, die meinen Mandanten angeblich auch gesehen hätten. An diesem Punkt war die Belastungstendenz des Zeugen offenkundig, sollte man meinen. Auch deutliche Worte von mir zu den offenkundigen Widersprüchen konnten die Staatsanwältin  nicht überzeugen und so beraumte das Gericht einen Fortsetzungstermin an.

Nach einem kurzen Gespräch vor dem Gerichtsgebäude machte sich mein Mandant dann auf dem Heimweg und ich ging nochmal kurz ins Gericht. Als ich rauskam, lief mir die Richterin entgegen, die draussen nach mir und meinem Mandanten gesucht hatte. Sie verkündete nun, dass man doch schon heute fertig werden könne, wenn ich meinen Mandanten zurückrufen könnte. Das habe ich dann telefonisch gemacht.

Die Richterin und die Staatsanwältin verkündeten mir zwischenzeitlich frohgemut, dass sie festgestellt hätten, dass der Zeuge ja gerade nicht sagen konnte, ob es sein  Ruderboot war, dass dort benutzt worden ist und somit keine Entwendung einer fremden Sache festgestellt werden könne. Sowohl die Staatsanwältin als auch ich beantragten dann Freispruch, dies war dann auch das Urteil des Amtsgerichts.

Der etwas künstlich anmutende Rückgriff auf das Ruderboot scheint mir dem Umstand geschuldet, eine gesichtswahrende Lösung für die Staatsanwaltschaft zu finden. Aber gut, im Endeffekt ist es ja unerheblich, ob der Freispruch wegen nachweislich falscher Identifizierung durch den Zeugen oder wegen des Ruderboots erfolgt, das Ergebnis stimmt, auch wenn es dazu eines Nachfassens bedurfte.