Unverhältnismäßige Überhöhung der Entgelte der Berliner Wasserbetriebe – Anmerkung zum Hinweisbeschluss des LG Berlin vom 27.09.2016 – 14 S 12/16

Die von der Berliner Wasserbetrieben geforderten Entgelte für Trinkwasserlieferung und Schmutzwasserentsorgung sind unverhältnismäßig hoch. Dies ergibt sich aus einem vom Landgericht Berlin am 27.09.2016 – Az. 14 S 12/16 – erteilten Hinweis.

Nach diesem Hinweis haben die Berliner Wasserbetriebe in einem Vergleich „ausschließlich aus prozessökonomischen Gründen“ vollständig auf die streitigen und erstinstanzlich bereits ausgeurteilten Forderungen gegen unsere Mandantin zur Zahlung von Trinkwasser- und Schmutzwasserentgelt verzichtet, gleichfalls auf die im Vorprozess bereits rechtskräftig titulierten Forderungen aus davor liegenden Zeiträumen und die vollständigen Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz übernommen. Tatsächlicher Hintergrund des Vergleichs war zweifelsohne die Befürchtung der Berliner Wasserbetriebe, einen nachteiligen Präzedenzfall zu schaffen. Da der Vergleich keine Stillschweigensklausel beinhaltet, kann hier darüber berichtet werden.

Der Hinweisbeschluss des Landgerichts hat es auch tatsächlich in sich. Das Landgericht hat nicht nur hinsichtlich des Trinkwasserentgelts, sondern auch hinsichtlich des Schmutzwasserentgelts Bedenken bezüglich der Billigkeit der Preisbestimmung der Berliner Wasserbetriebe.

Hinsichtlich der Trinkwasserpreise folgt dies bereits aus der im Beschluss zitierten bestandskräftigen Entscheidung des Bundeskartellamts. Aber auch hinsichtlich der Schmutzwasserentgelte der Berliner Wasserbetriebe geht das Landgericht von einer unverhältnismäßigen Überhöhung der Entgelte aus.

Ausgangspunkt dafür sind die Vergleichsbetrachtungen des Bundeskartellamts, welche hier zur Grundlage in den beiden Verfahren gegen die Berliner Wasserbetriebe gemacht wurden. Daraus folgt nach Ansicht des Landgerichts Berlin eine Bindungswirkung und ein Schadensersatzanspruch nach § 33 Abs. 3, 4 GWB hinsichtlich des Trinkwasserentgelts.

Für das Schmutzwasserentgelt gilt dies nicht, jedoch bestehen nach Auffassung des Landgericht auch insofern aus den Feststellungen des Bundeskartellamts und des OLG Düsseldorf erhebliche Bedenken gegen die Höhe der Schmutzwasserentgelte.

Das Amtsgericht Schöneberg hatte noch geurteilt, dass die Berliner Wasserbetriebe als Klägerin ihre Tarifkalkulation für die Jahre 2010 bis 2014 vorgetragen und jeweils Genehmigungsbescheide sowie Wirtschaftsprüfberichte  vorgelegt habe und damit ihrer Darlegungslast für die Billigkeit der Tarife nachgekommen sei. Die Einwendungen der Beklagten seien nicht ausreichend gewesen, um die Unbilligkeit der Tarife zu begründen. Es sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin gegen zwingende betriebswirtschaftliche Grundsätze verstoßen habe, die ihr einen unbilligen Vorteil verschaffen, weil damit das Kostendeckungsprinzip verlassen und der Gewinn unangemessen erhöht werde. Auch soweit die Beklagte vortrage, dass die Versorgungsunternehmen in anderen Städten geringere Arbeitspreise verlangen würden, könne mit dieser Begründung nicht von einer Unangemessenheit der Tarife ausgegangen werden, weil damit nicht im Einzelnen konkrete Punkte dargestellt werden, die Verstöße gegen zwingende betriebswirtschaftliche Regeln darstellen könnten.

Diese Ausführungen des Amtsgerichts, die auf entsprechenden Einwendungen der Berliner Wasserbetriebe beruhen, sind nach dem Hinweisbeschluss des Landgerichts obsolet.

Die behördliche Genehmigung der Tarife der Berliner Wasserbetriebe entfaltet ohnehin keinerlei Indizwirkung für die Darlegungs- und Beweislast der Berliner Wasserbetriebe. Das notwendige Genehmigungsverfahren gemäß den §§ 3, 4 Teilprivatisierungsgesetz i.V.m. der Verordnung über die Tarife der Berliner Wasserbetriebe keine privatrechtsgestaltende Wirkung, so dass eine Billigkeitsprüfung vorzunehmen ist (vgl. BGH, WuM 2003, 458; KG, ZMR 2006, 38 ff.; KG, Beschluss vom 23.03.2009, 23 U 187/08).

Die Grundsätze für die Frage der zivilgerichtlichen Überprüfung von Tarifen der Berliner Wasserbetriebe, die den Bereich der Daseinsvorsorge betreffen und für die auch Anschluss- und Benutzungszwang besteht, sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof auch geklärt:

Der Anwendungsbereich des § 315 BGB reicht weit über den Wortlaut der Vorschrift hinaus. § 315 BGB bindet die Gestaltungsmacht des Berechtigten an billiges Ermessen und unterwirft die von ihm getroffene Bestimmung einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle. Es schützt damit den anderen Vertragspartner, typischerweise den sozial Schwächeren, ohne allerdings eine globale Ermächtigung zur gerichtlichen Preiskontrolle zu enthalten (BGH NVwZ 2008,110 Tz. 20).

Tarifleistungen der Daseinsvorsorge, auf deren Inanspruchnahme der andere Teil angewiesen ist, sind einer Kontrolle gemäß § 315 BGB unterworfen, sofern eine Monopolstellung des Versorgungsunternehmen oder ein Anschluss- und Benutzungszwang besteht (BGHZ 73, 116; NJW 2005, 2919, 2920, 2007, 1672). Dies betrifft insbesondere Ab-/Wasserentgelte (BGH NJW 1992, 172; 2011, 2800). Dass zugleich die kartellrechtlichen Missbrauchsvorschriften nach GWB eingreifen können, hindert die Anwendbarkeit des Paragraphen § 315 BGB nicht (BGH NJW 2007, 2540; 2008, 2172).

Eine Bestimmung ist unverbindlich, wenn Sie nicht der Billigkeit entspricht. Das gilt auch dann, wenn die Bestimmung mit behördlicher Genehmigung getroffen worden ist (BGH NJW 2006, 684, 686). Das Gericht hat nachzuprüfen, ob die Grenzen des Ermessens eingehalten sind und ob nicht sachfremde oder willkürliche Motive für die Bestimmung maßgeblich waren. Unverbindlichkeit ist nicht gleichbedeutend mit Nichtigkeit, sondern eine besondere Art der Unwirksamkeit; sie kann nur durch Klage oder Einrede geltend gemacht werden.

Die Berliner Wasserbetriebe haben in den Jahren 2012 bis 2014 für die Trinkwasserlieferung einen über 25 % höheren Betrag als die durchschnittlichen Wasserlieferungspreise in Hamburg, München und Köln verlangt. Bei der Schmutzwasserentsorgung haben die Berliner Wasserbetriebe sogar über 41 % höhere Gebühren verlangt, als durchschnittlich in Hamburg, München und Köln verlangt wurden.

Das Bundeskartellamt hatte in seiner Vergleichsuntersuchung die Daten zur Wasserversorgung in 38 deutschen Städten ausgewertet und dabei festgestellt, dass bei vergleichbaren Versorgungsbedingungen die Wasserpreise in Hamburg, München und Köln deutlich niedriger sind. Während die Berliner Wasserbetriebe zusammen 5,10 pro m³ für Wasserlieferung und Schmutzwasserentsorgung berechnet haben, lagen beispielsweise die Gebühren in Köln zusammen nur bei 3,27 € pro m³ für Wasserlieferung und Schmutzwasserentsorgung.

In Hamburg betrug der Preis für die Wasserlieferung brutto 1,67 € pro m³ und die Schmutzwassergebühr 2,09 € pro m³ brutto. Bei den Stadtwerken München kostete ein m³ Wasserlieferung insgesamt 1,58 € brutto. Für die Schmutzwasserentsorgung wurde ein Betrag von 1,56 pro m³ Abwasser verlangt. In Köln wurde für die Wasserlieferung von der RheinEnergie ein Mengenpreis von 1,61 € pro m³ Wasser veranschlagt. Für die Schmutzwasserentsorgung wurden durch die Stadtentwässerungsbetriebe Köln 1,56 € pro m³ veranschlagt.

Die von den Berliner Wasserbetrieben damals verlangten Arbeitspreise von 2,027 € pro m³ für die Wasserlieferung und 2,464 € pro m³ für die Schmutzwasserentsorgung sind danach deutlich und missbräuchlich überhöht. Während der Trinkwassertarif ab dem 01.01.2014 auf 1,694 € pro m³ gesenkt wurde, betrug das Schmutzwasserentgelt bis zum 31.12.2014 noch 2,027 € pro m³. In den Folgejahren erfolgt eine leichte Absenkung auf nunmehr 2,210 € pro m³ ab 01.01.2018.

Es kann insofern auch für vergangene Zeiträume die Rückzahlung von überhöhten Trinkwasser- und Schmutzwasserentgelten von der Berliner Wasserbetrieben gefordert werden, dies gilt in jedem Fall für Zahlungen, die ab dem Jahr 2015 an die Berliner Wasserbetriebe geleistet worden sind. Wegen dem Einwendungsausschluss in § 30 AVB-WasserV können Einwendungen gegen die Höhe des Entgelts auch in einem Rückforderungsprozess geltend gemacht werden (vgl. BGH, Urteil vom 21.11.2012, VIII ZR 17/12). Von dieser Möglichkeit wurde nach hiesigem Kenntnisstand vor Berliner Gerichten bislang nur äußerst selten Gebrauch gemacht.

Der Hinweisbeschluss des Landgericht Berlins liefert nunmehr hinreichende Argumentationen, um gegen die überhöhten Entgelte der Berliner Wasserbetriebe vorzugehen.