Bundesgerichtshof: Kein Mitverschulden von Radfahrern wegen Nichttragen von Fahrradhelm
Nach Pressemitteilungen bei Spiegel Online und dem Tagesspiegel hat der Bundesgerichtshof am 17. Juni 2014 das Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig vom 5. Juni 2013, Geschäftsnummer: 7 U 11/12, aufgehoben und festgestellt, dass das Nichttragen eines Fahrradhelms entgegen der Auffassung des OLG Schleswig nicht zu einer Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens führt.
In der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 17. Juni 2014 wird dazu ausgeführt:
„Die Klägerin fuhr im Jahr 2011 mit ihrem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit auf einer innerstädtischen Straße. Sie trug keinen Fahrradhelm. Am rechten Fahrbahnrand parkte ein PKW.
Die Fahrerin des PKW öffnete unmittelbar vor der sich nähernden Radfahrerin von innen die Fahrertür, so dass die Klägerin nicht mehr ausweichen konnte, gegen die Fahrertür fuhr und zu Boden stürzte.
Sie fiel auf den Hinterkopf und zog sich schwere Schädel-Hirnverletzungen zu, zu deren Ausmaß das Nichttragen eines Fahrradhelms beigetragen hatte.
Die Klägerin nimmt die Pkw-Fahrerin und deren Haftpflichtversicherer auf Schadensersatz in Anspruch. Das Oberlandesgericht hat der Klägerin ein Mitverschulden von 20 % angelastet, weil sie keinen Schutzhelm getragen und damit Schutzmaßnahmen zu ihrer eigenen Sicherheit unterlassen habe.
Der für das Schadensersatzrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsurteil aufgehoben und der Klage in vollem Umfang stattgegeben.
Das Nichttragen eines Fahrradhelms führt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu einer Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens.
Für Radfahrer ist das Tragen eines Schutzhelms nicht vorgeschrieben. Zwar kann einem Geschädigten auch ohne einen Verstoß gegen Vorschriften haftungsrechtlich ein Mitverschulden anzulasten sein, wenn er diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt.
Dies wäre hier zu bejahen, wenn das Tragen von Schutzhelmen zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich und zumutbar gewesen wäre. Ein solches Verkehrsbewusstsein hat es jedoch zum Zeitpunkt des Unfalls der Klägerin noch nicht gegeben.
So trugen nach repräsentativen Verkehrsbeobachtungen der Bundesanstalt für Straßenwesen im Jahr 2011 innerorts nur elf Prozent der Fahrradfahrer einen Schutzhelm. Inwieweit in Fällen sportlicher Betätigung des Radfahrers das Nichttragen eines Schutzhelms ein Mitverschulden begründen kann, war nicht zu entscheiden.“
Durch das Urteil ist diese Frage nun grundsätzlich geklärt. Es erscheint mir auch folgerichtig. Das Tragen eines Schutzhelms ist für Radfahrer gesetzlich nicht vorgeschrieben, so dass aus dem Nichttragen auch – für sich genommen – kein Mitverschulden folgen kann.
Offen gelassen hat der Bundesgerichtshof diese Frage jedoch hinsichtlich sportlicher Betätigung auf dem Fahrrad. Dort dürfte es näher liegen, dass es ein Verkehrsbewusstsein für das Tragen eines Schutzhelmes gibt und dann bei Nichtttragen auch ein Mitverschulden in Betracht kommt.
Das Urteil erscheint mir auch folgerichtig. Da das Tragen eines Schutzhelms keine gesetzliche Vorschrift ist, sollte das Nichttragen auch keine rechtlichen Folgen zum Nachteil des Betroffenen führen.