„Täter, die sich für Opfer halten“ – was in der aktuellen Debatte über Steuerhinterziehung übersehen wird
Über „Täter, die sich für Opfer halten“ hat Thomas Fischer, Vorsitzender Richter des 2. Strafsenats beim Bundesgerichtshof und Autor des bekannten Kommentars zum StGB in der „Zeit“ geschrieben. Eine gute Besprechung dazu findet sich bei strafakte.de.
Aktuell sind mit Uli Hoeneß, Alice Schwarzer und dem Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz mehrere Fälle an die Öffentlichkeit gelangt, in denen es um den Vorwurf von Steuerstraftaten nach den §§ 369 ff. AO geht. Von den Betroffenen wird teilweise der Bruch des Steuergeheimnisses beklagt. Dies war dann Anlass für Fischer, einen Artikel für die „Zeit“ zu schreiben.
Zu dieser Thematik zunächst ein paar rechtliche Eckdaten:
Das Steuergeheimnis ist in § 30 AO geregelt . Es richtet sich ausschließlich an Amtsträger, die danach das Steuergeheimnis zu wahren haben. Strafrechtlich ist das Ganze dann auch durch § 355 StGB sanktioniert, wonach die Verletzung des Steuergeheimnisses mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet wird. Neben Amtsträgern gilt gemäß § 355 Abs. 2 StGB auch für
1. die für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten ( siehe § 11 Abs. 1 Nr. 4 StGB)
2. amtlich zugezogene Sachverständige und
3. die Träger von Ämtern der Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts.
Die Wahrung des Steuergeheimnisses durch Amtsträger gilt aber nicht ausnahmslos. In § 30 Abs. 4 AO sind Ausnahmen geregelt. In den oben bezeichneten Fällen ist davon wohl keine einschlägig. Darüber hinaus ist in § 30 Abs. 5 AO noch geregelt, dass vorsätzlich falsche Angaben des Betroffenen den Strafverfolgungsbehörden gegenüber offenbart werden dürfen.
Ob und inwieweit in diesen Fällen tatsächlich durch Amtsträger oder diesen gleich gestellte Personen eine Verletzung des Steuergeheimnisses erfolgt ist, lässt sich noch nicht sagen. Im Falle von Uli Hoeneß sind auf Strafanzeige seiner Verteidiger entsprechende Ermittlungen aufgenommen worden. Derzeit ist nicht erkennbar, ob tatsächlich eine Verletzung des Steuergeheimnisses in einem dieser Fälle stattgefunden hat. Bei einer Offenbarung durch andere Personen ist § 355 StGB nicht einschlägig, allenfalls könnte eine Verletzung von Privatgeheimnissen gemäß § 203 StGB vorliegen, was aber auch nur durch Berufsgeheimnisträger erfolgen kann.
Eine illegale Veröffentlichung durch die Presse, wie sie von Alice Schwarzer beklagt wird, ist vorliegend noch nicht erkennbar, denn es ist noch offen, ob die Informationen tatsächlich aus einer Verletzung des Steuergeheimnisses stammen.
Unabhängig von dieser noch offenen Frage ist allerdings durchaus erkennbar, dass sich die Betroffenen als Opfer fühlen, obwohl sie Täter waren. Dies ist allerdings nicht nur in Steuerstrafverfahren so, sondern durchaus häufig bei Straftätern erkennbar. Je größer die Schuld, umso größer ist der innere Druck und die innere Anspannung, die sich dann in Relativierungen, Rationalisierungen oder der Verlagerung auf andere entlädt. Schuld sind immer die anderen … Strafverteidiger können davon ein Lied singen.
Sich mit eigenem Fehlverhalten auseinander zu setzen, ist nicht einfach und eher unangenehm. Durch unsere sog. „Leistungsgesellschaft“ wird eine solche Innenschau auch nicht gerade befördert, ganz im Gegenteil wird ja Profitmaximierung groß geschrieben. Da sind solche Dinge wie Gewissen und Ethik oder Moral ziemlich hinderlich.
Profitmaximierung ist dann auch der gemeinsame Nenner bei den oben genannten Fällen des Vorwurfs von Steuerstraftaten. Es ist einträglicher, Geld geheim im Ausland anzulegen, gerade wenn es um größere Summen geht, als die Zinseinnahmen im Inland zu versteuern. Nur ist diese Form von Profitmaximierung unter Strafe gestellt.
Die aktuelle Debatte greift m.E. jedoch zu kurz und bleibt oberflächlich, solange man sich nicht mit diesem Motiv auseinandersetzt. Gibt es einen Unterschied zwischen „guter“ und „böser“ Profitmaximierung?
Allen Formen der Profitmaximierung ist gemeinsam, dass mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Ertrag erzielt werden soll. Vom Gesetzgeber sind bestimmte Formen der Profitmaximierung unter Strafe gestellt, so z.B. im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht. Der Wirtschafts- oder Steuerstraftäter macht aber vom Prinzip her nichts grundsätzlich anderes, als derjenige, der im Rahmen der Gesetze seine Erträge maximieren will. Das macht es leichter, die Gesetze zu ignorieren, noch dazu, wo die Politik und Behörden Jahr für Jahr Steuergelder in Milliardenhöhe verschleudern wie der Bundesrechnungshof regelmäßig zu Recht rügt. Das bietet natürlich einen schönen Vorwand, um sein Geld ohne Zugriff des Fiskus zu vermehren.
Das Prinzip, das der Profitmaximierung zugrunde liegt, ist jedoch in allen Fällen das gleiche: Geldvermehrung, also das Streben nach der Vermehrung von Geld und materiellem Besitz. Darin liegt aber praktisch kein relevanter Unterschied zur Habgier mehr, die als übersteigertes Streben nach materiellem Besitz definiert wird und eng mit dem Geiz verwandt ist, der übertriebenen Sparsamkeit und dem Unwillen zu teilen. Dies spiegelt sich dann in der Motivation des Steuerstraftäters wieder, der seine Einnahmen nicht mit dem Staat teilen will.
Nachdem unser Wirtschaftssystem auf dem Streben nach der Vermehrung von Geld und materiellem Besitz beruht, wird daher unvermeidlich die Habgier befördert. Die Auswirkungen davon kann man in der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise sehen und in der heraufziehenden globalen Umweltkatastrophe. Es gäbe also eigentlich viel mehr zu diskutieren als Täter, die sich als Opfer sehen. Diese Diskussion wird aber leider (noch) nicht geführt …