„Ein bescheidenes Lob der Gewalt“

Nein, Sie haben sich nicht verlesen … „Ein bescheidenes Lob der Gewalt“ lautet allen Ernstes die Überschrift eines Artikels auf Legal Tribune Online (lto) von Martin Rath. Der Jurisprudenz und damit auch der Gesellschaft droht laut Martin Rath eine „zersetzende“ Gefahr: die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg. Diese könne über die vermehrte Mediation als Konterbande auch Einzug in die Justiz finden. Eine Begründung dafür bleibt der Autor allerdings schuldig. Dass Mediation und gewaltfreie Kommunikation zwei völlig verschiedene Methoden sind … sei’s drum.

Zur Begriffsklärung: Mediation ist ein strukturiertes freiwilliges Verfahren zur konstruktiven Beilegung eines Konfliktes, bei dem die Konfliktparteien durch Unterstützung einer dritten „allparteilichen“ Person, dem Mediator, zu einer gemeinsamen Vereinbarung gelangen, die ihren Bedürfnissen und Interessen entspricht. Die Mediation ist kein neuzeitliches Modell, sondern wird weltweit seit über 2.500 Jahren in unterschiedlichsten sozialen Zusammenhängen angewendet.

Gewaltfreie Kommunikation ist hingegen ein Konzept, das von dem klinischen Psychologen Dr. Marshall B. Rosenberg in den 1960ern entwickelt wurde. Die Gewaltfreie Kommunikation ist als eine Methode zur Verbesserung des zwischenmenschlichen Miteinanders konzipiert, die auf der Annahme basiert, dass gelungene Kommunikation und dauerhaft friedliche Beziehungen nur bei echtem empathischen Kontakt gelingen.

Das hört sich nicht nur nicht zersetzend an, sondern ziemlich vernünftig … Rath hingegen beschreibt es als „Doktrin, die … als ‚machtvolles Instrument‘ zum Umgang mit Konflikten vom völkerrechtsrelevanten Gewaltverhältnis bis zur Auseinandersetzung zerstrittener Eheleute“ propagiert werde. Das ist als Definition der Gewaltfreien Kommunikation schlicht und ergreifend falsch. Dies sollte aber auch nicht verwundern, ist doch das gesamte Traktat von Rath von erschreckender Oberflächlichkeit gekennzeichnet.

So schreibt er, dass das „Hauptwerk“ Marshall B. Rosenbergs zwar erst 2011 in deutscher Sprache unter dem Titel „Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens“ erschienen sei, zuvor schon „breite Wahrnehmung durch die kleinteiligen Distributionsverfahren der Erwachsenenbildung, Friedenspädagogik und – nicht zu vergessen – der mählich wachsenden Mediationsbranche erfahren“ habe. Ein einfacher Blick in das Buch hätte genügt, um zu sehen, dass das Buch im Jahr 2001 in erster Auflage in Deutschland erschienen ist und 2012 nunmehr in 10. Auflage.

Entsprechend oberflächlich greift sich Rath dann verschiedene Passagen des Buches heraus und versucht dort angegebene Anwendungsbeispiele lächerlich zu machen und beschreibt eine vermeintliche Anwendung der Gewaltfreien Kommunikation auf einen von ihm dargestellten Beispielsfall.

Schließlich folgen noch wehmütige Erinnerungen an die gute alte Zeit, wo im Bürgerlichen Gesetzbuch noch von „elterlicher Gewalt“ die Rede war, welcher leider gegen die farblose „elterliche Sorge“ ausgetauscht worden sei. Da bleibt nur der Rückgriff auf Ironie: Ja, die gute alte Zeit, wo Eltern und Lehrer die Kinder noch züchtigen durften. Damals waren die Kinder noch nicht so „verweichlicht“ und haben noch Weltkriege angezettelt …

Immerhin wird zu Beginn und zu Ende des Traktats deutlich, was die eigentliche Triebkraft von Raths irrlichternden Ausführungen ist: Junge Menschen, die einen Straßenbahnwaggon besteigen und ihre regennassen Turnschuhe auf den gegenüberliegenden Sitzplatz legen. Rath würde sich dann „als der vergleichsweise kleinwüchsige Straßenbahn-Nutzer, der ich bin“ freuen, wenn sich großgewachsene Jungjuristen gegen die von ihm als „Nachwuchsverbrecher“ bezeichneten Menschen mit ihren Straßenkotschuhen zur Wehr setzen. Hört sich nach einem lupenreinen Napoleon-Komplex an …

An irgend welchen Belegen für die vermeintliche „zersetzende Gefahr“ der Gewaltfreien Kommunikation sucht man bei Rath allerdings vergeblich. Dass die Jugend angeblich verroht, wurde von schon von Sokrates um 400 v. Chr. beklagt. Uwe Bittlingmayer legt in einem lesenwerten Aufsatz dar, dass es eher erklärungsbedürftig ist, „warum die Jugend noch so erfrischend wenig verroht ist angesichts gesellschaftlicher Zustände, die abgeschafft gehören.

Wenn man wie Rath schon Gewalt loben will, dann müsste man zunächst mal definieren will, welche Art von Gewalt man meint. Bereits daran fehlt es in Raths Traktat. So gibt u.a. einen psychologischen, politischen, soziologischen und juristischen Begriff der Gewalt. An solchen Kleinigkeit hält sich Rath aber nicht auf.

Ein Titel wie „Lob der Gewalt“ ist in Anbetracht der großen Probleme von zwischenmenschlicher körperlicher, psychischer und anderer Gewalt einfach nur entsetzlich. Die erste weltweite UN-Studie „Gewalt gegen Kinder“ aus dem Jahr 2006 kommt zu dem Ergebnis: „Weltweit wird Gewalt gegenüber Kindern bis heute vielfach hingenommen und ist sogar in zahlreichen Ländern erlaubt. So haben lediglich 102 von über 200 Staaten körperliche Disziplinierungsmaßnahmen in Schulen verboten. 77 Länder erlauben Schläge in Gefängnissen. In 31 Ländern sind körperliche Strafen vom Auspeitschen bis hin zu Amputationen möglich.

Nach einer anderen UN-Studie werden bis zu 70% aller Frauen werden im Laufe ihres Lebens Opfer von Gewalttaten. Weiter wird dort beschrieben: „Die weltweit am häufigsten auftretende Form von Gewalt gegen Frauen ist physische Gewalt durch einen vertrauten Partner. Frauen werden geschlagen, zum Geschlechtsverkehr gezwungen oder in anderer Weise missbraucht.  … Darüber hinaus ist die Anwendung psychologischer und emotionaler Gewalt durch vertraute Partner weit verbreitet. … Es wird angenommen, dass weltweit eine von fünf Frauen im Laufe ihres Lebens Opfer einer (versuchten) Vergewaltigung wird … Sexualisierte Gewalt in Konflikten ist eine schwere Gewalttat der heutigen Zeit, die Millionen von Menschen betrifft – vornehmlich Frauen und Mädchen. Sie wird oft bewusst als weitreichende Strategie von bewaffneten Gruppen eingesetzt, um Gegner zu demütigen, die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen und die Gesellschaft zu zerstören. Frauen und Mädchen werden auch von denjenigen sexuell ausgebeutet, die sie in den Konflikten beschützen sollen. Von Großmütttern bis zu Kleinkindern fallen immer wieder Frauen gewalttätigen sexuellen Angriffen durch Soldaten und Rebellen zum Opfer. Vergewaltigungen sind seit langer Zeit eine Kriegstaktik. In jedem Krieg wird in und nach bewaffneten Konflikten Gewalt gegen Frauen angewendet. …500.000 bis zwei Millionen Menschen werden jährlich in die Prostitution, Zwangsarbeit oder die Sklaverei verschleppt – 80% der Opfer sind Frauen und Mädchen.

Wie man bei solchen Zuständen ernsthaft Gewalt loben und gewaltfreie Kommunikation in einem schlecht recherchierten und noch schlechter geschriebenen Artikel durch den Kakao ziehen kann, ist mir ein Rätsel.

[Anmerkung: Es ist kein Versehen, dass Raths Traktat nicht direkt verlinkt ist, man sollte derartiges sollte man nicht durch einen Link „ehren“.]