Streit um des Kaisers Bart – die vermeintliche Schutzlücke im Sexualstrafrecht – das Wesentliche wird übersehen

Ideologisch aufgeheizte Debatten sind hierzulande eher selten geworden. Die Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am Mittwoch, den 28. Januar 2015, im Bundestag scheint eine solche Debatte loszutreten. Inhaltlich geht es um die Frage, ob das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention), dort insbesondere Art. 36, eine Anpassung oder Änderung der geltend gemachten Rechtslage erfordert. Darauf zielt ein Antrag mehrerer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 2. Juli 2014 ab.

Bei der Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am 28. Januar 2015 wurden eine ganze Reihe von Personen geladen, die zu diesem Thema als Experten gehört wurden, darunter auch Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof (BGH), und Autor des wichtigsten Strafrechtskommentars. Über diese Anhörung hat Fischer nachfolgend einen Artikel in der Zeit veröffentlicht. In diesem durchaus lesenswerten – stellenweise etwas flappsigen – Artikel geht er auf die geltende Rechtslage ein und vertritt pointiert seine Auffassung, dass eine Reform des Sexualstrafrechts nicht erforderlich ist.

Dies gefällt nun nicht jedem. In einem Beitrag im Verfassungsblog übt der Journalist Maximilian Steinbeis – in, wie ich meine, überwiegend unsachlicher Weise – Kritik an Fischer und seinem Artikel. Was Anlass für diesen Artikel gibt, ist die anscheinend durchaus nicht vereinzelte Meinung von Steinbeis:

Im Moment ist es in Deutschland strafrechtlich nicht verboten, mit einem erwachsenen und autonomen Menschen Sex zu haben, der weint und Nein sagt und das scheußlich findet, solange man dabei keinen Zwang oder Druck ausübt.

Dies ist rechtlich unzutreffend, um nicht zu sagen: falsch. Die sexuelle Nötigung ist in § 177 StGB geregelt und neben den beiden Tatbestandsvarianten der Nötigung mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, ist darin auch der Fall der sexuellen Nötigung unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, geregelt. Bei dieser Tatbestandsvariante kann sich die Nötigungshandlung nach der Rechtsprechung des BGH in der Vornahme der sexuellen Handlung erschöpfen. Dies heißt mit anderen Worten: wenn sich das Opfer in schutzloser Lage befindet, ist neben der sexuellen Handlung keine weitere Nötigung erforderlich. Ein einfaches „Nein“ reicht vollkommen aus und es liegt eine strafbare Handlung vor. Daneben ist in § 179 StGB  auch die Strafbarkeit von sexuellem Mißbrauch von widerstandsunfähigen Personen geregelt.

Entscheidend ist aber Folgendes: Gewalt im Sinne von § 177 StGB liegt bereits bei jeder gegen den Körper des Opfers gerichteten Krafteinwirkung vor, die vom Opfer als körperlicher Zwang empfunden wird. Sexualität mit einer anderen Person ist aber ohne Krafteinwirkung auf den Körper des anderen nicht denkbar. Das „Nein“ des anderen reicht dann selbstverständlich aus, damit der andere Mensch bestraft wird, der trotz des „Nein“ weitermacht.

Es stellt sich dann aber die Frage, worin die vermeintliche Strafbarkeitslücke liegen soll. Wenn jemand keinen Sex möchte, wird er oder sie die Handlungen der anderen Person zwangsläufig körperlich als Zwang empfinden. Darauf basierende Strafverfahren sind alltäglicher Bestandteil der Rechtspraxis in der Bundesrepublik. Nachdem zwischenmenschliche Sexualität ohne Krafteinwirkung auf den Körper des anderen nicht denkbar ist, liegt auch keine Strafbarkeitslücke vor. Sexuelle Handlungen an einer anderen Person trotz entgegenstehendem und geäußerten Willen, wie z.B. einem „Nein“ sind selbstverständlich bereits strafbar. Das ganze mutet daher wie eine Phantomdiskussion an.

Das wäre an sich ja auch nicht weiter tragisch, wenn dabei nicht die wirklich wesentlichen Punkte übersehen würden:

1.) Prävention ist besser als Repression

Das Strafrecht ist als Mittel zur Verhütung von Straftaten leider nur sehr bedingt geeignet, das alltägliche Leben und die Rechtspraxis zeigen das nur allzu deutlich auf. Mir scheint, dass gerade im Sexualstrafrecht die Möglichkeiten der Prävention noch lange nicht aufgeschöpft sind. Das Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“ ist ein positives Beispiel. Sowohl im Erwachsenen- als auch Kinder- und Jugendbereich gibt es aber noch deutlich mehr Möglichkeiten für Präventionsmaßnahmen. Dazu gehört insbesondere auch die Frage von Alkohol- und Drogenkonsum. Gerade bei sog. „Gelegenheitsverbrechen“ im Bereich des Sexualstrafrechts spielt häufig Alkohol- und/oder Drogenkonsum eine Rolle. Der Konsum von Alkohol als gesellschaftlich akzeptierter und leicht verfügbarer Droge wird aber nicht hinterfragt, dabei spielt gerade alkoholbedingte Enthemmung eine durchaus wesentliche Rolle bei vielen Straftaten, nicht nur im Sexualstrafrecht.

2.) Arbeit der Polizei und Hilfestrukturen

Die Aufklärung von Sexualstraftaten erfordert besondere Expertise im Bereich der Polizeiarbeit, mit entsprechender finanzieller, personeller und sachlicher Ausstattung. Hat sich in diesem Bereich teilweise so manches verbessert, ist eine flächendeckende, professionelle Polizeiarbeit in diesem Bereich leider keineswegs die Regel.

Hilfsstrukturen für Opfer von Sexualstraftaten in Form von Beratungsstellen, Opferschutzbeauftragten u.a. sind inzwischen bundesweit vorhanden. Die Kapazitäten dieser meist privat organisierten, gemeinnützigen Einrichtungen sind aber häufig durch knappe finanzielle Mittel einschränkt.

3.) Die Strafjustiz

Das ist ein Thema für sich. Aus meiner Tätigkeit als Opfervertreter kenne ich auch Urteile, gerade in Fällen von sexuellen Kindesmißbrauch, die ich für unangemessen niedrig halte. Wegen der Unabhängigkeit der Justiz lässt sich daran nur wenig machen, allenfalls über eine Anhebung der Strafrahmen kann der Gesetzgeber da etwas bewegen.

4.) Die Strafvollstreckung

Der Bereich, bei dem Volkes Seele schnell hochkocht und der Stammtisch, vertreten durch die Zeitschrift mit den vier Buchstaben, wettert. Geld für Straftäter, wo kommen wir da hin? Zu einer weiterhin erbärmlich hohen Rückfallquote, wenn sich nichts ändert. In wenigen Bereichen klaffen Theorie und Praxis so weit auseinander wie im Strafvollzug. Wird im Strafvollzugsgesetz die Resozialisierung des Straftäters als Ziel des Strafvollzugs definiert, sind die Ressourcen der Strafvollzugsanstalten und auch deren Organisation praktisch flächendeckend so mangelhaft, dass die Rückfallquoten bei der Vollverbüßung von Freiheitsstrafen zwischen wohl zwischen 50-70% betragen. Dass es auch anders und besser geht zeigen die nordischen Länder: Norwegen hat eine Rückfallquote von nur 20%, aber das erfordert natürlich deutlich höhere finanzielle Aufwendungen. Im Moment haben wir in Deutschland aber einen teuren Strafvollzug, der seine Aufgabe weitgehend verfehlt. Oder wie ein Mandant neulich zu mir sagte: „Hier im Knast lernt man erst wie es richtig geht, man hat ja auch fast nur mit anderen Knackis zu tun.“

Es gäbe in der Praxis also vieles, was man verbessern kann, um Sexualstraftaten zu verhindern, aufzuklären und die Täter zu resozialisieren. Die angedachte Reform des Sexualstrafrechts wegen vermeintlicher Schutzlücken ist dagegen ein reines Scheingefecht, das an der Wirklichkeit komplett vorbei geht.