Inhalt des Beweisantrags, der zum Freispruch beim Messverfahren Poliscan Speed geführt hat

Wie in dem Beitrag Freispruch bei Messverfahren Poliscan Speed durch Amtsgericht Berlin-Tiergarten angekündigt, hier der Inhalt des Beweisantrages, der zum Freispruch geführt hat:

Zweifel hinsichtlich der Zuverlässigkeit des PoliScanSpeed-Messergebnisses bestehen deshalb, weil das PoliScan-Messsystem nicht dem Stand der Technik genügt, wonach ein überprüfbarer Beweis der richtigen Messwertgewinnung möglich sein muss und es ferner keine zuverlässige, nachträgliche Richtigkeitskontrolle der gewonnenen Messwerte und der Zuordnung der abgelichteten Fahrzeuge zulässt.

Mehrere Sachverständigen sind in Bußgeldverfahren für das Amtsgericht Wiesbaden (dortiges Aktenzeichen 77 OWi 5521 Js 36991/08 = Bl. 245 bzw. 257 d.A.) und für das Amtsgericht Mannheim übereinstimmend davon ausgegangen, dass der vom Gerät gewonnene Geschwindigkeitsmesswert systembedingt nicht einer nachträglichen Richtigkeitskontrolle, um Messfehler auszuschließen, unterzogen werden kann. Ein Sachverständiger führte insoweit aus:

„Die Messdatei enthält keine Daten, aus denen sich die Lage der Messstrecke und deren Länge ableiten lassen. Auch die Abweichungen der einzelnen Entfernungsmessungen von der Solllinie oder einer Zu- oder Abnahme durch Beschleunigung oder Verzögerung des Fahrzeugs innerhalb der Messstrecke lassen sich aus den Daten nicht rekonstruieren. Auf Nachfrage teilte der Hersteller explizit mit, dass es keine Möglichkeit gibt, den tatsächlichen Messort und die Einzelmesswerte nachträglich zu bestimmen . Es lässt sich daher nicht überprüfen,

– aus welchen Einzelmesswerten der Geschwindigkeitswert gebildet wurde,

– in welcher Entfernung vor dem Messgerät sich das Fahrzeug bei der Messwertbildung befand,

– auf welchem Fahrstreifen das Fahrzeug dabei fuhr,

– wie groß der Winkel zwischen Fahrbahnlängsachse und Bewegungsrichtung war,

– ob das Fahrzeug eine Bogenfahrt ausführte,

– wie viele Objekte sich gleichzeitig innerhalb der Messstrecke befanden (vgl. AG Dillenburg, DAR 2009, 715-716).

Die Messwertbildung kann daher nicht nachvollzogen werden.

Der Sachverständige Dr. Löhle hat im Juli 2009 in DAR 2009, 422 ff, 427 Bedenken gegen die Sicherheit des Messgeräts publiziert:

„Die annullierten Messungen werden weder getrennt gezählt noch gibt es Fotos von ihnen. Nur anhand der Anzahl insbesondere aber anhand der Fotos der annullierten Messungen ließe sich die Qualität einer konkreten Messreihe beurteilen. So wie derzeit mit den Annullationsmessungen verfahren wird, kann man als Außenstehender nur darauf vertrauen, dass alles seine Richtigkeit hat.

Es bestehen Bedenken gegen die Annahme, dass allen gültigen Messwerten tatsächlich eine zusammenhängende Messstrecke von mindestens ca. 10 Metern zugrunde liegt.

Motorräder werden vom Gerät so gut wie nicht erfasst.“

Außerdem erfüllt das PoliScanSpeed-Messgerät nicht die PTB-Anforderung 18.11 Abschnitt 3.5.4, die lautet:

„Das Registrierbild muss die Zone der Messwertentstehung abbilden (z.B. Verlauf der Messbasis, Verlauf der Messstrahlung bei Verkehrsradargeräten).“

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (2 BvC 3/07 und 2 BvC 4/07) ist es verfassungswidrig, wenn die „verfassungsrechtlich gebotene Möglichkeit einer zuverlässigen Richtigkeitskontrolle“ nicht gesichert ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn noch nicht einmal ein Sachverständiger – mangels Kenntnis des geheim gehaltenen Verfahrens der Messwertgewinnung – nachprüfen kann, ob die ermittelte Geschwindigkeit richtig ist oder nicht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist unter einem standardisierten Messverfahren ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (vgl. BGH, Beschluss vom 30.10.1997, 4 StR 24/97, BGHSt 43, 277).

Dies ist bei dem streitgegenständlichen Messgerät Poliscan Speed jedoch nicht der Fall, da noch nicht einmal für gerichtlich bestellte Sachverständige die Möglichkeit besteht, die Grundlagen für die Zulassung, insbesondere die exakte Funktionsweise des Messsystems, bei der PTB zu überprüfen und die Prüfung durch die PTB auch nicht über jeden Zweifel erhaben ist (vgl. AG Aachen, Urt. v. 10.12.2012 – 444 OWi-606 Js 31/12-93/12).

Ebenso wie die Herstellerfirma des Geräts Poliscan Speed gewährt aber auch die PTB keinen Zugang zu den relevanten Daten, ebenfalls mit Verweis auf patentrechtliche Bestimmungen zugunsten der Herstellerfirma (vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.02.2010, 1 (8) SsBs 276/09, juris; AG Aachen, aaO sowie Löhle, DAR 2009, 422, 424).

Im Rahmen einer Güterabwägung ist jedoch der Wahrheitsfindung im Bußgeldprozess der Vorrang gegenüber dem Interesse der Herstellerfirma an der Geheimhaltung der technischen Bauweise des Messgeräts einzuräumen. Es ist zwar leicht einsehbar, dass es für die Herstellerfirmen bequemer ist, den unbefugten Nachbau ihrer Geräte durch Geheimhaltung der technischen Spezifikationen als durch die Führung von Patentprozessen zu verhindern.

Andererseits werden – wie auch im vorliegenden Verfahren – aufgrund von Messungen mit „Poliscan Speed“ bundesweit jährlich tausende Fahrverbote verhängt, die gravierende berufliche Folgen für die Betroffenen haben. Aufgrund der heute von den Arbeitnehmern verlangten Mobilität und der Lage auf dem Arbeitsmarkt ist es der Regelfall, dass bereits ein einmonatiges Fahrverbot zum Verlust des Arbeitsplatzes führt. Dieser Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG lässt sich durch Geheimhaltungsinteressen der Herstellerfirmen nicht rechtfertigen, zumal diese – wie gesagt – die Möglichkeit haben, ggf. eintretende Patentrechtsverletzungen gerichtlich geltend zu machen (vgl. AG Aachen, aaO).

Eine nähere Untersuchung der Prüfungsweise der PTB anhand der Prüfung des vorliegenden Geräts Poliscan Speed zeigt ebenfalls, dass die Prüfungen der PTB nicht automatisch zu einer Anerkennung als standardisiertes Messverfahren führen können.

In der Literatur werden zum Beispiel Zweifel angemeldet, ob bei der PTB die Messwerterhebung durch Poliscan Speed messtechnisch nachvollzogen werden kann (vgl. Schmedding, VRR 2009, 337, 339). Die Vorgabe bei der PTB ist, dass jedem gültigen Geschwindigkeitsmesswert des neu zuzulassenden Geräts ein gültiger Wert einer Referenzmessung mit einem anderen Gerät gegenüberzustellen ist. Da jedoch die Referenzanlagen im Gegensatz zu Poliscan Speed keine ausgedehnte Messzone, sondern nur kurze Messstrecken sowie Messszeiten überwachen, ist mithilfe der PTB-Referenzquellen eine Überprüfung eventueller Geschwindigkeitsschwankungen im Rahmen einer 25-30m langen Auswertestrecke beim Poliscan Speed-Verfahren nicht möglich (vgl.AG Aachen, aaO; Schmedding, ebenda).

Darüber hinaus wird in der Literatur vertreten, dass der auf Poliscan-Fotos eingeblendete „Auswerterahmen“ nicht den Vorgaben der PTB (Ablichtung des Bereichs der Messwertbildung) entspricht, da der Bereich der Messwertbildung bei Poliscan deutlich früher stattfindet als der Moment der Auslösung des Fotos (vgl. AG Aachen, aaO; Schmedding/Neidel/Reuß, SVR 2012, 121, 126).

Desweiteren ist nachgewiesen worden, dass der Auswerterahmen in bestimmten Konstellationen, insbesondere im unteren Geschwindigkeitsbereich, sogar auf stehenden Fahrzeugen zu sehen sein kann, wenn das gemessene Fahrzeug plötzlich nach rechts lenkt (vgl. AG Aachen, aaO; Winninghoff/Hahn/Wietschorke, DAR 2010, 106, 108 f.; vgl. auch Priester, jurisPR-VerkR 2/2010 Anm. 6; Löhle, DAR 2011, 48, 49).

Für solche Fälle hätte die PTB einen aufmerksamen Messbetrieb und/oder eine besondere Beschaffenheit der Messstelle vorschreiben müssen, was nicht geschehen ist (Winninghoff/Hahn/Wietschorke, DAR 2010, 106, 108 f.). Die Zuordnung des Auswerterahmens ist auch bei mehreren durchs Bild fahrenden Fahrzeugen ein Problem (vgl. vgl. AG Aachen, aaO; Löhle, DAR 2011, 758, 763; ders., DAR 2011, 48, 50; Schmedding/Neidel/Reuß, SVR 2012, 121).

Gegen die Softwareversion 1.5.5. bestehen auch erhebliche Bedenken. Diese Version wurde vom Hersteller von „Poliscan Speed“ als Nachfolgerin der Versionen 1.5.3 und 1.5.4 in Umlauf gebracht, nachdem dort Probleme mit einer verzögerten Kameraauslösung aufgetreten waren (vgl. Bladt, DAR 2011, 431). Diese führten dazu, dass es in 1-2% der Fälle zu Bildauslösungen mit Verzögerungen von 0,1 bis 0,15 Sekunden kam (vgl. Löhle, DAR 2011, 48, 50).

Die Einführung der neuen Version geschah, obwohl der Hersteller nicht feststellen konnte, unter welchen Bedingungen der genannte Fehler auftrat (vgl. AG Aachen, aaO; Vitronic, Risikoabschätzung zur erkannten Timing-Überwachungslücke in V. 1.5.3 und V. 1.5.4 vom 15.06.2010, zit. nach Bladt, ebenda).

Es ist anzumerken, dass vor Einführung der neuen Version nahezu bei allen Geräten die beschriebenen Kamerafehlfunktionen aufgetreten sind (vgl. Bladt, ebenda). Diese Probleme wurden von der Herstellerfirma Vitronic erkannt und führten zur Entwicklung der neuen Version 1.5.5, allerdings ohne alle Betreiber der Anlagen über die Fehlfunktionen zu informieren (vgl. AG Aachen, aaO; Löhle, DAR 2011, 48, 49), sodass es weiter zu Messungen mit den fehlerhaften Versionen kam.

In diesem Zusammenhang muss hinterfragt werden, ob die PTB ihrer Aufgabe bei der Überwachung der Zulassung der Geräte tatsächlich nachgekommen ist.

Auch für die im vorliegenden Fall verwendete Version 1.5.5 sind Hinweise vorhanden, dass es zu verzögerten Fotoauslösungen kommen kann (Löhle, DAR 2011, 758, 765). Der Fehler konnte daher nicht behoben, sondern lediglich die Auswirkungen durch eine Überwachung des Zeitpunkts des Belichtungssignals der Kameraeinheit eingegrenzt werden (vgl. AG Aachen, aaO; Vitronic, bei Bladt, ebenda).

Da diese Überwachung jedoch nicht funktionierte (vgl. Bladt, ebenda), hat auch die neue Softwareversion keine wesentlichen Verbesserungen mit sich gebracht. Darüber hinaus erstaunt, wenn bei Bekanntwerden von Fehlern einer alten Software zwar die neue Software durch die PTB zugelassen, die alte aber bis zur nächsten Eichung (die über ein Jahr später liegen kann) weiter benutzt werden darf (vgl. AG Aachen, aaO; Bladt, DAR 2011, 431, 432).

Es ist deshalb derzeit so, dass ein Gerät zur PTB geschickt wird, mit einem Stempel der PTB aufgrund eines wie auch immer gearteten Prüfungsverfahrens zurückkommt und sodann aufgrund des PTB-Gütesiegels für den Einsatz als standardisiertes Messsystem zur Verfügung stehen soll.

In diesem Stadium eröffnen sich keinerlei Rechtsschutzmöglichkeiten für den Bürger, da er durch die die Herstellerfirma begünstigende Zulassung nicht unmittelbar drittbetroffen ist. Bei einer Messung durch das Messgerät wird ihm dann entgegnet, dass das Gerät zugelassen sei und deshalb keine Überprüfungsmöglichkeiten bestehen.

Diese Argumentation ist jedoch nicht schlüssig, da es aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, insbesondere unter dem Blickwinkel des Gewaltenteilungsprinzips, nicht hinnehmbar ist, dass Gerichte ohne die Möglichkeit eigener Überprüfung Bescheide und Genehmigungen von Behörden als unumstößlich hinnehmen. In diesem Zusammenhang mutet es skurril an, dass mit der Begründung, eine Behörde habe die Unfehlbarkeit des Messgerätes festgestellt, die Bußgeldbescheide von anderen Behörden, die mit diesem Messgerät arbeiten, ebenfalls faktisch unangreifbar werden (vgl. AG Aachen, aaO).

Dass ein Messgerät von der PTB zugelassen ist, besagt nicht mehr als die aus Sicht der PTB grundsätzliche Eignung für Messungen vorliegt. Es handelt sich dabei um eine Selbstverständlichkeit. Damit ist jedoch noch nichts darüber gesagt, ob das Messgerät im konkreten Fall auch tatsächlich korrekt funktioniert hat. Es handelt sich um eine technische Apparatur, die wie alle Dinge auch, dem Verschleiß unterliegen und auch andere unerkannte Fehler aufweisen können. Daran ändert auch eine vorliegende Eichung nichts.

Die Situation ist durchaus mit Kraftfahrzeugen vergleichbar. Ein Kraftfahrzeug bedarf einer Betriebserlaubnis nach § 19 StVZO. Dies ist mit der PTB-Zulassung für ein Messgerät vergleichbar.

Das Kraftfahrzeug muss regelmäßig zur Hauptuntersuchung gemäß § 29 StVZO vorgestellt werden. Dies ist mit der regelmäßigen Eichung des Messgeräts vergleichbar.

Ein Kraftfahrer, der ein zum Betrieb gemäß § 19 StVZO zugelassenes verkehrsunsicheres oder mängelhaftes Fahrzeug führt, kann sich aber nicht darauf berufen, dass bei der letzten Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO keine Mängel vorlegen hätten und das Fahrzeug über eine Betriebserlaubnis verfügt.

Hingegen soll es jedoch bei dem vorliegenden Messgerät Poliscan Speed hingenommen werden, dass eine Überprüfung der konkreten Messung und Messtauglichkeit des Messgeräts zum Messzeitpunkt nicht erfolgt, weil das Messgerät über eine Betriebserlaubnis (=PTB-Zulassung) verfügt und zur letzten Hauptuntersuchung (=Eichung) vorgestellt wurde, bei der keine Mängel beanstandet wurden.

Dies ist nicht nur aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht hinnehmbar, wie das Amtsgericht Aachen zutreffend ausführt, sondern eine Farce. Der Betroffene hat vorliegend überhaupt keine Möglichkeit, die Messung gerichtlich überprüfen zu lassen. Damit wird das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG eklatant verletzt.

Nachtrag vom 13. Juni 2014: Das Urteil des Amtsgericht Tiergarten ist rechtskräftig, die Staatsanwaltschaft hat kein Rechtsmittel eingelegt: Das Urteil ist hier im Vollext veröffentlicht.