Eine Nachbetrachtung zum Strafverfahren gegen Jörg Kachelmann

Nach dem Freispruch war die Medienlandschaft letztes Jahr voll von Berichten und Kommentaren über das Strafverfahren gegen Jörg Kachelmann vor dem Landgericht Mannheim. Für den geneigten Leser, der von März 2010 bis Juni 2011 auf einer Südseeinsel war oder weder Fernsehen noch Zeitung oder Internet verfolgt hat:

Gegen Jörg Kachelmann wurde nach Anzeige seiner Ex-Freundin seitens der Staatsanwaltsschaft Mannheim  wegen schwerer Vergewaltigung einer Ex-Freundin  ermittelt. Im März 2010 wurde er bei seiner Rückkehr nach Deutschland festgenommen und aufgrund eines Haftbefehls in Untersuchungshaft genommen. Nachdem das Landgericht Mannheim seine Haftbeschwerde noch zurückgewiesen hatte, hob das Oberlandesgericht Karlsruhe den Haftbefehl am 29. Juli 2010 auf, da kein dringender Tatverdacht mehr bestehe.

Das (parallel zur Untersuchungshaft angelaufene) Hauptverfahren war nach Erhebung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft Mannheim vom Landgericht Mannheim zuvor am 9. Juli 2010 eröffnet worden. Nach der Aufhebung des Haftbefehls durch das Oberlandesgericht (ein im übrigen äußerst seltener Vorgang – wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann) musste die 5. Strafkammer des Landgerichts Mannheim das von Anfang sehr öffentlichkeitswirksame Verfahren betreiben, nun mit dem Makel behaftet, bereits eine Entscheidung getroffen zu haben, die von einem höheren Gericht aufgehoben wurde.

Ab 6. September 2010 fand die Hauptverhandlung statt, die nach 43 Verhandlungstagen am 31. Mai 2011 mit dem Freispruch von Jörg Kachelmann endete.

Über das Verfahren wurde sehr viel geschrieben, ich will hier auf ein paar grundsätzliche Dinge zu diesem Strafverfahren eingehen:

Auch in Deutschland macht es im Strafverfahren einen erheblichen Unterschied, ob man bekannt ist oder nicht. Die Tatsache, dass elf Gutachter im Verfahren (teils als Sachverständige, teils als Zeugen) gehört wurden, ist nur mit der Person des Angeklagten zu erklären.

Allein das Landgericht hatte von sich aus (ungewöhnlich genug) drei Sachverständige bestellt, dazu kamen noch drei von der Staatsanwaltschaft bestellte Gutachter und fünf von der Verteidigung beauftragte Gutachter. Letzteres ist natürlich nur einem Angeklagten mit größerem Einkommen bzw. Vermögen möglich. In vielen “normalen” Vergewaltigungsverfahren wird (wenn überhaupt) nur ein Gutachter bestellt, ein solche Gutachterschlacht wie im Kachelmann-Verfahren ist äußerst selten.

Auch dass die Staatsanwaltschaft mit drei Vertretern aufgetreten ist, kann man nur als sehr ungewöhnlich bezeichnen, mir ist kein Fall bekannt, wo dies sonst noch passiert wäre (vielleicht bei den RAF-Prozessen in der 1970ern?) .

Das Verfahren wurde dadurch sehr aufgebläht und dauerte 43 Verhandlungstage. Auch auf die Gefahr, als Außenstehender ohne Kenntnisse der Details das Ganze unzutreffend zu beurteilen: für mich hat es den Anschein, dass  einer oder mehrere der Berufsrichter (die Kammer hat mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen verhandelt, dabei haben aber alle gleiches Stimmrecht) ebenso wie die Staatsanwaltschaft sich trotz der “Ohrfeige” des Oberlandesgerichts von der einmal gefassten Meinung zur Schuld des Angeklagten nicht lösen konnten und daher das Verfahren unnötig ausgedehnt wurde.

Es ist jedenfalls auch ungewöhnlich, dass ein Dutzend von Jörg Kachelmanns Ex-Freundinnen als Zeuginnen vom Gericht gehört wurden, obwohl diese zum angeklagten Sachverhalt nichts sagen konnten – in anderen  Verfahren geschieht derartiges nur sehr selten.

Es ist ohnehin eine sehr merkwürdige Besonderheit im deutschen Strafverfahren, dass dasselbe Gericht, das über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheidet, dann auch die Hauptverhandlung durchführt. Es kommt dadurch in der Praxis immer wieder dazu, dass vorangegangene Fehler aus dem Ermittlungsverfahren sich immer weiter verfestigen, da Richter auch nur Menschen sind und ungern eingestehen, dass sie vorher mit der Eröffnung des Hauptverfahrens einen Fehler gemacht haben. Eine Vorsitzende Richterin sagte dazu mal, dass jeder Freispruch ein Fehlurteil sei. Gemeint war damit, dass vorher die Staatsanwaltschaft mit der Erhebung der Anklage einen Fehler gemacht (also den Sachverhalt falsch beurteilt hatte = Fehlurteil) und ebenso das Gericht mit der Eröffnung des Hauptverfahrens.

Nachdem die 5. Strafkammer des Landgerichts Mannheim das Hauptverfahren eröffnet hatte, gab es keinen einfachen Weg mehr, das Verfahren zu beenden, jedenfalls nicht mit einer Staatsanwaltschaft, die auch nicht in der Lage war, ihre ursprüngliche Fehleinschätzung zu korrigieren, obwohl selbst die von ihr bestellte Gutachterin Luise Greuel nicht genügend Anhaltspunkte fand, um den Erlebnisgehalt der Aussage der Hauptbelastungszeugin bestätigen zu können.

Das mit großem Aufwand geführte Verfahren hätte sicherlich auch in deutlich kürzerer Zeit durchgeführt werden können. Das Ergebnis ist aus juristischer Sicht in jedem Fall folgerichtig. Es gab keine belastbaren Indizien, welche die Aussage der Hauptbelastungszeugin, die im Vorverfahren wiederholt in Teilbereichen die Unwahrheit gesagt hatte, bestätigt hätten. Jörg K. war daher freizusprechen.

Finanziell dürfte das Ganze trotzdem eine kostspielige Angelegenheit für ihn gewesen sein. Gemäß § 7 Abs. 3 StrEG bekommt er für die Dauer der Untersuchungshaft pro Tag einen Betrag von 25,- Euro als Entschädigung, was sich vorliegend auf ca. 3.250,- Euro belaufen dürfte. Vermögensschäden bekommt er bei entsprechendem Nachweis Darüber hinaus trägt die Staatskasse nur seine notwendigen Auslagen. Damit ist zum einen das Verteidigerhonorar gemeint. Die Kosten des Verteidigerwechsels sind davon jedoch ebenso wenig erfasst wie das sicherlich hohe Stundenhonorar des Kollegen Schwenn, das die Staatskasse wohl nur zum Teil (“die notwendigen Auslagen”) erstatten wird. Auch die Kosten der von der Verteidigung beauftragten Gutachter werden nur im Rahmen von § 9 JVEG erstattet.

Am Ende heißt es somit für alle Beteiligten: außer Spesen nichts gewesen …