Muss ein Anwalt vor Gericht eine Krawatte tragen?

Der Sachverhalt, der einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. März 2012 (Az: 1 BvR 210/12) zu Grunde liegt, erscheint reichlich bizarr:

Ein Strafverteidiger trat [vermutlich in einem Berufungsverfahren] vor einer Strafkammer des Landgerichts München II auf, hatte jedoch keine Krawatte umgebunden. Erstaunlicherweise hat daraufhin der Vorsitzende Richter der Strafkammer des Landgerichts München II die Zurückweisung des Strafverteidigers verkündet, das heißt dieser durfte in dem Termin nicht mehr tätig werden.

Wer nach einer gesetzlichen Grundlage für diese Entscheidung sucht, sucht vergeblich. Aus § 176 GVG folgt zwar die sitzungspolizeiliche Gewalt des Richters für die „Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung „. Es folgt jedoch daraus richtigerweise nicht das Recht, einen Strafverteidiger zurückzuweisen – jedenfalls nicht wegen fehlender Krawatte.

In der Strafprozessordnung ist für den Auschluss des Strafverteidigers in den §§ 138 a, 138 b, 138 c, 138 d StPO ein Verfahren geregelt, die dortigen Voraussetzungen lagen jedoch ganz offenkundig nicht vor.

Die Berufsordnung für Rechtsanwälte sieht in § 20 BORA als Berufstracht des Anwalts nur die Robe vor. Danach besteht also gerade keine Verpflichtung des Anwalts zum Tragen einer Krawatte vor Gericht.

In München hat aber schon vor einigen Jahren das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 14.07.2006 entschieden, dass die Verpflichtung zum Tragen einer Krawatte Gewohnheitsrecht sei. Auch im vorliegenden Verfahren wurde daher die Beschwerde zurückgewiesen und sogar noch ausgeführt, dass es sich um einen schwerwiegenden Verstoß gehandelt habe.

Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat die 2. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 13. März 2012 nicht zur Entscheidung angenommen, da ihr keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukomme. Die aufgeworfenen Fragen seien bereits geklärt. Es liege auch keine besonders gewichtige Verletzung von Grundrechten vor.

Die Zurückweisung des Verteidigers möge zwar rechtlich bedenklich und als Reaktion auf das Verhalten des Anwalts überzogen erscheinen, jedoch würde diese keine Belastung in existenzieller Weise darstellen. Der Verteidiger sei außerhalb der Verhandlung nicht beschränkt und zum neuen Termin geladen worden. Auch könne er weitere Maßnahmen dadurch abwenden, dass er zukünftig eine Krawatte angelege.

Zumindest letztere Erwägung scheint mir fragwürdig zu sein. Wie wäre es im Vergleichsbeispiel, wenn eine Verteidigerin aus religiösen Gründen mit Kopftuch vor Gericht auftritt und das Gericht sie auffordert, das Kopftuch abzunehmen? Dabei ist zwar noch ein anderes Grundrecht betroffen, aber auch in diesem Beispiel kann ja der Aufforderung Folge geleistet werden.

Man fragt sich aber auch ohnehin, ob es in München nichts Wichtigeres zu tun gibt, als sich über eine fehlende Krawatte zu streiten, sowohl auf Seiten des Gerichts als auch des Anwalts. Das Landgericht hätte sich besser darauf besonnen, seiner eigentlichen Aufgabe nachzukommen, nämlich Recht zu sprechen, als übertrieben und selbstbezogen auf Äußerlichkeiten zu achten. Der Anwalt dürfte allenfalls seiner eigenen Würde geschadet haben, wenn er ohne Krawatte aufgetreten ist.

Dass es auch anders geht, zeigt ein Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 19. Juli 2002, dass festgestellt hatte, dass die Fortführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Verteidigers, der vom Gericht ausgeschlossen wurde, weil er sich weigerte, einer Krawatte anzulegen, einen elementaren Verfahrensverstoß darstellt. In dem dortigen Verfahren hatte das Gericht aber sogar ohne den Verteidiger weiter verhandelt und entschieden, was in München wohl nicht geschehen ist.

Das Landgericht Mannheim hat in einem Beschluss vom 27. Januar 2009 (Az. 4 Qs 52/08) ausgeführt, dass sich aus § 176 GVG im allgemeinen nicht die Befugnis ergibt, einen in Robe, aber ohne Krawatte auftretenden Rechtsanwalt in der betreffenden Sitzung zurückzuweisen.

Das Landgericht Mannheim hat dabei noch berücksichtigt, dass in Baden-Württemberg eine Rechtsverordnung aus dem Jahr 1976 Vorschriften zur Amtstracht von Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten enthält. Es bestehen dort einander widersprechende landes- und berufsrechtliche Vorschriften.

Zutreffend ging das Landgericht Mannheim davon aus, dass die Zurückweisung des anwaltlichen Beistand in die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts und in das Recht des Mandanten auf Wahrung seiner Rechte durch den Anwalt seines Vertrauens beeinträchtigt und der Verstoß gegen die Pflicht, eine Krawatte zu tragen, eine sehr geringe Störung der Verhandlungsordnung darstellt.

Im Jahr 2003 hatte ich auch einmal vergessen, eine Krawatte mitzunehmen und wurde dann vor der Hauptverhandlung in der Strafsache vom Amtsrichter auf die fehlende Krawatte angesprochen. Ich teilte daraufhin mit, dass ich diese vergessen hatte.

Nach Aufruf der Sitzung der Sitzung fragte der Richter dann erstaunlicherweise nochmals, warum ich keine Krawatte tragen würde. Nach dem ich erwiderte, dass ich in 1 Minute keine Krawatte herbeizaubern konnte, nahm er dann zu Protokoll, dass ich ohne Krawatte erschienen sei. Nachfolgend würde dann aber ganz normal verhandelt. Das Verhalten des Richters fand ich zwar auch gelinde gesagt übertrieben, in der Sache ging es aber normal weiter.

Man sollte meinen, dass es Wichtigeres auf der Welt gibt, als die Frage, ob der Verteidiger eine Krawatte trägt …