OLG Brandenburg: Notwendige Feststellungen in Strafverfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht

Die Staatsanwaltschaft hatte meinen Mandanten wegen Verletzung seiner Unterhaltspflicht gemäß § 170 StGB gegenüber seinem volljährigen Kind angeklagt.

Ich hatte in der Hauptverhandlung auf die diversen Probleme des Falles hingewiesen. Dies war für die Richterin aber anscheinend kein Problem und sie verurteilte meinen Mandanten zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Die schriftliche Urtelsbegründung war – freundlich formuliert – recht oberflächlich, so dass ich dagegen Sprungrevision eingelegt habe, der vom Brandenburgischen Oberlandesgericht stattgegeben wurde. Den sehr instruktiven Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgericht vom 24. Oktober 2012, Aktenzeichen: (1) 53 Ss 163/12 (79/12), gebe ich nachfolgend wieder:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Königs
Wusterhausen vom 12. Juni 2012 mit den zugrunde liegenden Feststellungen
aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Königs Wusterhausen zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgerichts Königs Wusterhausen hat den Angeklagten mit Urteil vom 12. Juni 2012 wegen Verletzung der Unterhaltspflicht zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.

Gegen das Urteil richtet sich die Sprungrevision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat beantragt wie entschieden.

II.

Die nach §§ 335 Abs. 1, 312 StPO statthafte und nach §§ 341, 344 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 und 345 StPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete Sprungrevision führt zu einem – vorläufigen – Erfolg.

Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge führt zur Aufhebung und Zurückverweisung. Das Urteil kann schon deswegen keinen Bestand haben, weil die Feststellungen des Amtsgerichts unvollständig sind und eine Prüfung, ob die Amtsrichterin rechtsfehlerfrei von einer Leistungsfähigkeit des Angeklagten und von einer Bedürftigkeit seiner Tochter ausgehen konnte, nicht ermöglichen.

Der objektive Tatbestand einer Verletzung der Unterhaltspflicht gemäß § 170 Abs. 1 StGB setzt das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht voraus. Diese beinhaltet als Teilelement die Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten einerseits und die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners andererseits.

Eine Bedürftigkeit besteht im Allgemeinen dann nicht, wenn der vermeintlich
Unterhaltsberechtigte den ihm zustehenden Lebensbedarf selbst mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln decken kann. Demgegenüber wird derjenige Unterhaltsschuldner als leistungsfähig anerkannt, der ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts (sog. Selbstbehalt) unter Berücksichtigung seiner sonstigen unterhaltsrechtlich relevanten Verpflichtungen im Stande ist, dem Unterhaltsberechtigten den ihm zivilrechtlich zustehenden Unterhalt zu gewähren (vgl. OLG Celle, NdsRpfl 2011, 378 m.w.N.).

Die Strafgerichte haben das Bestehen der Unterhaltspflicht des Täters sowie deren Höhe selbstständig zu prüfen und zu beurteilen. Um diese eigenständige Prüfung von Bedürftigkeit des Berechtigten und Leistungsfähigkeit des Verpflichteten vornehmen zu können, müssen die Strafgerichte die wesentlichen Grundlagen der gesetzlichen Unterhaltspflicht, wie etwa das tatsächliche oder erzielbare Einkommen, ggf. unterhaltsrechtlich bedeutsame Belastungen sowie den Selbstbehalt berücksichtigen.

Die vom Tatrichter für die Beurteilung des Bedarfs des Berechtigten und der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten herangezogenen Grundlagen müssen in einer Weise festgestellt und im Urteil dargelegt werden, die dem Revisionsgericht eine Überprüfung der rechtlichen Wertung des Tatrichters ermöglicht.

a) Zur Bedürftigkeit der Unterhaltsberechtigten verhält sich das Urteil überhaupt nicht. Es wird weder mitgeteilt, ob die Tochter des Angeklagten über berücksichtigungsfähiges Vermögen verfügt noch ob sie eigene Einkünfte erzielt. Das Urteil setzt sich nicht damit auseinander, ob der Lebensbedarf der Tochter des Angeklagten durch eine vermeintliche Unterhaltsentziehung gefährdet ist oder ohne die Hilfe anderer gefährdet wäre (§ 170 Abs. 1 StGB).

b) Die Urteilsgründe enthalten auch nicht diejenigen Tatsachenfeststellungen, die erforderlich wären, um den konkreten Umfang einer möglichen Unterhaltspflicht des Angeklagten feststellen zu können. Insbesondere hätte es zur Feststellung der tatsächlichen Höhe der Unterhaltspflicht des Angeklagten gegenüber seiner Tochter in dem verfahrensgegenständlichen Zeitraum konkreter Zahlenangaben bedurft.

Der Verweis auf eine Urkunde – von welcher Behörde bleibt offen – aus dem Jahre 1999, aus der sich eine Verpflichtung zur Zahlung des Regelunterhaltes (in welcher Höhe?) ergeben soll, ist hierzu nicht geeignet, zumal die Unterhaltsberechtigte im März 2010 volljährig geworden ist.

Ab dem Zeitpunkt ihrer Volljährigkeit ist die Tochter des Angeklagten aber verpflichtet, ihren Unterhaltsbedarf durch eigene Einkünfte zu decken, es sei denn, dass sie sich noch in der Ausbildung befindet. Hierzu verhält sich das Urteil, wie oben bereits ausgeführt, nicht.

c) Das Amtsgericht geht ferner ohne nähere tatsächliche Feststellungen davon aus, dass sich allein aus der Tatsache, dass der Angeklagte (nur) 28 Wochenstunden arbeitet und hierfür ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 513,00 € erhält, seine Leistungsfähigkeit ergibt.

Dies schließt das Gericht aus der Weigerung des Angeklagten sich zu erklären, inwieweit er in der Lage ist, eine Vollzeitbeschäftigung aufzunehmen oder ggf. bereits über ein zweites Arbeitsverhältnis verfügt. Diese Ausführungen sind aber völlig unzureichend, um die Leistungsfähigkeit des Angeklagten darzustellen.

Der Tatrichter hat im Urteil den Betrag anzugeben, den der Täter mindestens hätte leisten können; es müssen die Beurteilungsgrundlagen – tatsächliches oder erzielbares Einkommen, zu berücksichtigende Lasten, Eigenbedarf (Selbstbehalt) u.s.w. – so genau dargelegt werden, dass eine Überprüfung der vom Tatrichter angenommenen Leistungsfähigkeit möglich ist.

Wird die Leistungsfähigkeit – wie wohl vorliegend – mit erzielbarem Einkommen begründet, so sind zudem die beruflichen Fähigkeiten und Möglichkeiten unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage in dem betreffenden Zeitraum festzustellen; allgemeine Behauptungen genügen dafür nicht. Auf dieser Grundlage muss dann nach den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes ermittelt werden, welche Beträge der Unterhaltspflichtige durch eine zurnutbare Arbeit hätte mindestens verdienen können (vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 1998, 207).

Angesichts der sich immer mehr verschlechtemden Situation auf dem Arbeitsmarkt kommt diesen Feststellungen sogar eine wachsende Bedeutung zu, wobei sich der Senat allerdings der Schwierigkeiten des Tatrichters, im Einzelfall jeweils für die Annahme der Leistungsfähigkeit im Sinne des § 170 StGB revisionsrechtlich ausreichende Feststellungen zu treffen, durchaus bewusst ist (vgl. Thüringer OLG, StV 2005, 213; BayObLG NJW 1990, 3284 m.w.N.).

Zu den für die Feststellung der Unterhaltspflicht maßgebenden Tatsachen gehören ferner Feststellungen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kindsmutter. Auch daran fehlt es.

Bereits diese aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils im vollem Umfang und Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahren, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Königs Wusterhausen.