Kammergericht: Unzulässige Zurückweisung eines Beweisantrages im Strafverfahren aufgrund eigener Sachkunde

Eine gesetzlich gar nicht vorgesehene Zurückweisung eines Beweisantrages durch das Amtsgericht Tiergarten und die unzureichende Beweiswürdigung des Wiedererkennens des Angeklagten in der Urteilsbegründung hat in einer Jugendstrafsache nach Einlegung einer Sprungrevision zu einer Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten durch den 4. Strafsenat des Kammergerichts geführt [Beschluss vom 11. Dezember 2015, Az. (4) 121 Ss 129/15 (160/15)].

Meinem Mandanten wird von der Staatsanwaltschaft Berlin sexuelle Nötigung durch einen Übergriff im Juni 2014 in Berlin vorgeworfen. Streitig ist dabei vor allem die Frage des Wiedererkennens durch zwei Zeuginnen.

Eine Wahllichtbildvorlage, ein Wiederkennen nach gezielter Suche einige Wochen später und eine darauf folgende Gegenüberstellung der Polizei sowie der Augenschein in der Hauptverhandlung führten zu jeweils unterschiedlichen Angaben. Ein Mitangeklagter wurde deshalb auch freigesprochen.

Die Hauptbelastungszeugin gab an, dass der Täter kurze Haare gehabt habe. Darauf habe ich in der Hauptverhandlung einen Beweisantrag gestellt, drei Familienangehörige als Zeugen zu hören, dass mein Mandant zum Tatzeitpunkt [Juni 2014] schulterlanges Haar gehabt habe.

Diesem Beweisantrag bügelte die – vornehm formuliert – nassforsche Vorsitzende Richterin mit der Begründung ab, dass sie aus eigener Sachkunde wisse, dass mein Mandant bei einer Hauptverhandlung im Dezember 2013 kurzes Haar gehabt habe und das Schöffengericht lehnte den Beweisantrag aus eigener Sachkunde ab. Dass es einen solchen Ablehnungsgrund für die Vernehmung eines Zeugen gar nicht gibt, übersah das Gericht dabei. Dementsprechend hat das Kammergericht auf die Sprungrevision festgestellt:

„Der den Beweisantrag ablehnende Gerichtsbeschluss genügt nicht den Erfordernissen des § 244 Abs. 3 StPO. Den Ablehnungsgrund der eigenen Sachkunde gibt es dort nicht. Auch eine Auslegung des Beschlusses in dem Sinne, dass das Gericht die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit für überflüssig gehalten hat, weil es gerichtskundig sei, wann der Angeklagte welche Frisur getragen habe, ist nicht möglich. Denn hierzu enthält der knapp gefasste Beschluss keine nachvollziehbaren, die Beweisbehauptung entkräftenden Angaben.“

Da die Urteilsbegründung zur Frage des Wiedererkennens auch unzureichend war, wurde das Urteil auf die hier eingelegte Sprungrevision sowohl auf die Verfahrensrüge als auch die Sachrüge aufgehoben. Der gesamte Beschluss kann hier nachgelesen werden.