Muss man Inkassokosten bei „Schwarzfahren“ in der BVG oder S-Bahn zahlen?

Bei meiner anwaltlichen Tätigkeit kommen immer mal wieder Mandanten, die ohne gültigen Fahrausweis in der BVG oder S-Bahn unterwegs waren und dabei kontrolliert wurden – sprich: beim absichtlichen oder versehentlichen Schwarzfahren „erwischt“ wurden.

Dabei wird regelmäßig eine Zahlkarte über 40,- Euro, ab 01.07.2015 über 60,- Euro, zur Zahlung des erhöhten Beförderungsentgelts übergeben, wonach dieser Betrag innerhalb von 14 Tagen überwiesen werden soll.

Erfolgt dann keine oder keine vollständige Zahlung kommt mehr oder weniger schnell danach eine Zahlungsaufforderung eines Inkassobüros, in Berlin bei Kontrollen in der BVG oder S-Bahn meldet sich nachfolgend die Infoscore Forderungsmanagement GmbH, die inzwischen sogar Inkassokosten geltend macht, die mehr als das eigentliche erhöhte Beförderungsentgelt betragen. Aus 40,- bzw. 60,- Euro werden dann schnell 80,- bis 120,- Euro.

Was aber kaum bekannt ist: in vielen Fällen besteht gar kein Anspruch auf Zahlung der Inkassokosten.

Die Rechtslage ist dazu eindeutig. Das erhöhte Beförderungsentgelt ist in § 9 Abs. 2 der Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Obusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen geregelt und kann danach bis zu 40,- Euro betragen. [Update vom 18.08.2015: ab 01.07.2015 ist das erhöhte Beförderungsentgelt auf bis zu 60,- Euro erhöht worden.]

In § 9 der Beförderungsbedingungen des Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg ist dies auch entsprechend enthalten und auch die Frist von 14 Tagen für die Zahlung.

Inkassokosten neben dem erhöhten Beförderungsentgelt können daneben aber nur auf der Grundlage der zivilrechtlichen Vorschriften, vorliegend dem BGB verlangt werden.

Rechtlich gesehen handelt es sich bei dem erhöhten Beförderungsentgelt nämlich um eine Vertragsstrafe (siehe Amtsgericht Regensburg, Urteil vom 03.03.2014, Az.: 10 C 1949/13; AG Wuppertal, Urteil vom 8.4.2009, Az.: 35 C 376/08).

Für einen Anspruch auf Zahlung der Inkassokosten muss sich der Schuldner somit mit der Zahlung in Verzug befunden haben. Die Voraussetzungen dafür sind in § 286 BGB geregelt. Danach kommt der Schuldner gemäß § 286 Abs. 1 BGB grundsätzlich erst dann in Verzug, wenn er auf eine Mahnung des Gläubigers nach dem Eintritt der Fälligkeit nicht zahlt.

Es bedarf somit zunächst einer Mahnung des Schuldners. Mahnungen werden durch die BVG oder die S-Bahn bzw. das beauftragte Inkassobüro in Berlin nach meiner Kenntnis nicht versendet, sondern es werden bereits mit dem ersten Schreiben die Inkassogebühren erhoben. Da vorher keine Mahnung versendet wurde, besteht dann aber kein Anspruch auf Zahlung der Inkassokosten.

Nun besagt aber § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB dass es keiner Mahnung bedarf, wenn „für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist“. Die BVG setzt ja aber eine Zahlungsfrist von 14 Tagen, also könnte eine Mahnung entbehrlich sein.

Ist sie aber nicht. Für die Anwendung von § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB muss für die Leistung durch Gesetz, Rechtsgeschäft oder Urteil eine Zeit nach dem Kalender bestimmt sein, eine einseitige Bestimmung durch den Gläubiger genügt nicht (siehe Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.10.2007 – Az.: III ZR 91/07).

Die allgemeinen Beförderungsbedingungen erfüllen diese Voraussetzungen aber nicht. Es handelt sich um kein Rechtsgeschäft, sondern um eine einseitige und somit unwirksame Bestimmung durch das Verkehrsunternehmen.

Verzug könnte aber später gemäß § 286 Abs. 3 BGB dadurch eintreten, wenn nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung geleistet wird.

Dies gilt gegenüber einem Schuldner, der Verbraucher ist, aber nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist. Das geschieht in Berlin nach meiner Kenntnis aber auf den ausgehändigten Zahlkarten nicht.

Die entsprechende gesetzliche Regelung kann gemäß § 309 Nr. 4 BGB durch allgemeine Geschäftsbedingungen wie es die allgemeinen Beförderungsbedingungen sind, auch nicht abgeändert werden.

Somit tritt erst nach Ablauf einer in einer Mahnung gesetzten (angemessenen) Zahlungsfrist Verzug ein und erst danach sind die durch Einschaltung eines Inkassobüros nach Fristablauf geltend gemachten Kosten zu zahlen. Diese sind dann aber auch nur in der Höhe zu zahlen, die durch Beauftragung eines Rechtsanwaltes entstanden wären (vgl. § 4 Abs.5 Nr. 1 RDGEG).

[28. Januar 2016] Aufgrund vieler Nachfragen hier noch eine Ergänzung des Beitrags:

Es gibt grundsätzlich keine zeitliche Befristung für die Geltendmachung des erhöhten Beförderungsentgelts. Es gilt danach die allgemeine Verjährungsfrist gem. § 195 BGB von drei Jahren zum Ende des Kalenderjahres.

Anwaltliche Beratung kann man natürlich zur Abwehr der in diesem Beitrag dargestellten unberechtigten Inkassokosten durch das Inkassobüro in Anspruch nehmen. Die anwaltliche Tätigkeit ist allerdings kostenpflichtig, die Gebühren für die außergerichtliche Abwehr der Verzugskosten betragen dabei gemäß dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bei einem Streitwert bis 500,- Euro in der Regel 83,54 €.

Insofern macht eine Beauftragung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nur Sinn, wenn eine Rechtsschutzversicherung vorhanden ist, welche die Gebühren übernimmt, oder die Voraussetzungen für Beratungshilfe vorliegen und vom zuständigen Amtsgericht auf entsprechenden Antrag ein Beratungshilfeberechtigungsschein ausgestellt worden ist.

Anders ist es im gerichtlichen Verfahren, dort besteht bei Obsiegen ein Anspruch auf Erstattung der Gebühren des zur Forderungsabwehr im gerichtlichen Verfahren beauftragten Rechtsanwalts.

Aus haftungs- und berufsrechtlichen Gründen kann ich – auch im Rahmen dieses Beitrags bzw. der Kommentarfunktion – keine kostenlose Rechtsberatung erteilen, entsprechende Fragen also auch nicht beantworten. Wie aus der Darstellung der Rechtslage in diesem Beitrag ersichtlich, besteht ein Anspruch auf Zahlung von Inkassokosten nur dann, wenn nach Eintritt der Fälligkeit [nachweislich] eine Mahnung versandt wurde und zugegangen ist und eine angemessene Frist zur Zahlung nach [nachgewiesenem] Zugang der Mahnung verstrichen ist oder bereits in der übergebenen Zahlkarte darauf hingewiesen wurde, dass Verzug eintritt, wenn keine Zahlung innerhalb von 30 Tagen erfolgt und mehr als 30 Tage verstrichen sind.

Zusammenfassung: Die Forderung auf Zahlung des erhöhten Beförderungsentgelts ist zwar 14 Tage nach Übergabe der Zahlkarte fällig. Inkassokosten können aber erst verlangt werden, wenn nach Ablauf dieser Frist eine Mahnung versandt wurde [für die noch keine Inkassokosten geltend gemacht werden können] und eine in der Mahnung gesetzte, angemessene [10-14 Tage] Zahlungsfrist verstrichen ist (vgl. § 286 Abs. 1 BGB: „Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug.“].

Erst danach tritt Zahlungsverzug ein, auf dessen Grundlage, Inkassokosten geltend gemacht werden können. Im Streitfall, d.h. wenn  keine Mahnung zugegangen ist, muss dabei im Übrigen des Inkassobüro auch nachweisen, dass die Mahnung zugegangen und nicht etwa auf dem Postweg verloren gegangen ist.

Ergänzung vom 19.06.2018: eine sehr schöne Darstellung zu den Voraussetzungen von Verzug findet sich auch unter folgender Webseite Haufe.de