Amtshaftung bei Mängeln von „TÜV“-Gutachten – Urteil des Kammergerichts vom 4. März 2014

Auf die Beiträge „TÜV-Gutachten vor Autokauf – Keine Garantie für Mängelfreiheit“ und „(Fast) Keine Rechte des Käufers wegen Mängeln von „TÜV“-Gutachten“ kommen immer wieder Anfragen, was aus dem Verfahren der von uns vertretenen Mandantin geworden ist.

Wir hatten gegen das Land Berlin eine Klage bei dem Landgericht Berlin eingereicht. Das Landgericht Berlin hat der Klage mit Urteil vom 1. August 2013, Geschäftsnummer: 86 O 117/12, nach umfangreicher Beweisaufnahme stattgegeben und das Land Berlin zum Schadenersatz verurteilt, d.h. zur Zahlung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Übereignung des PKWs.

Dagegen hat das Land Berlin Berufung zum Kammergericht eingelegt. Das Kammergericht hat der Berufung mit Urteil vom 4.3.2014, Geschäftsnummer: 9 U 187/13, stattgegeben und die Klage unserer Mandantin abgewiesen.

Die Urteilsbegründung geben wir unten wieder. Entscheidend war für das Kammergericht, dass dem Prüfer kein bewusstes Handeln nachgewiesen werden konnte, sondern auch ein Versehen des Prüfers möglich war. Dann aber greifen die Grundsätze der Rechtsprechung, wonach  ein fahrlässiges Handeln des Prüfers alleine keine Amtspflichtverletzung begründet.

Auch in der Tatsache, dass der Prüfer in seiner gerichtlichen Zeugenvernehmung nicht angeben konnte, wo der gesetzliche Kriterienkatalog für die Hauptuntersuchung zu finden ist, war für das Kammergericht kein Grund, eine Amtspflichtverletzung des Prüfers zu sehen. Dies erstaunt umso mehr, als das Kammergericht selbst ausführt, dass der Kriterienkatalog im Laufe der Jahre mehrfach geändert wurde. Gerade dann ist von einem Prüfer, der mit der Erteilung und Anbringung der Prüfplakette gem. § 29 Abs. 3 S. 1 StVZO bescheinigt, dass die Vorschriften der Anlage VIII eingehalten sind, zu fordern, dass dieser den gesetzlichen Kriterienkatalog kennt und auch benennen kann.

Auch wenn nach der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BayObLG NStZ 1999, 575-577; OLG Hamm VRS 47, 430; OLG Köln JR 79, 255)  selbst bei der Erteilung einer Prüfplakette durch den Prüfer trotz erkannten schweren Mängeln im Rahmen einer Hauptuntersuchung keine Falschbeurkundung im Amt gem. § 348 StGB vorliegen soll, stellt die Erteilung einer Prüfplakette unter diesen Umständen ein vorsätzliches, sittenwidriges Verhalten des Prüfers dar, der eine Amtspflichtverletzung begründet.

Gleiches muss auch bei Unkenntnis des gesetzliches Kriterienkatalogs gelten. Es ist nicht denkbar, dass dem Prüfer seine Unkenntnis des gesetzlichen Kriterienkatalogs verborgen geblieben sein kann. Im vorliegenden Fall kann man nur im Ergebnis dem Kammergericht beipflichten, da der Prüfer angegeben hatte, dass er die Bremsleitungen regelmäßig im Rahmen der Hauptuntersuchung überprüfe. Seine Unkenntnis des gesetzlichen Kriterienkatalogs hat sich insofern nicht – jedenfalls nicht nachweisbar – in der fehlerhaften Erteilung der Prüfplakette niedergeschlagen.

Anzumerken ist insgesamt noch, dass die Rechtsprechung und das Rechtsempfinden der Bevölkerung in diesem Punkt weit auseinandergehen dürften. Nach meiner Erfahrung wird dem „TÜV“, d.h. der Hauptuntersuchung gem. § 29 StVZO, in der Bevölkerung ein hohe Verlässlichkeit zugesprochen und angenommen, dass ein entsprechend untersuchtes Fahrzeug auch tatsächlich mängelfrei ist. Käufer von Gebrauchtfahrzeugen glauben, dass sie durch den „TÜV“ die beste Gewähr dafür haben, dass der gekaufte PKW auch tatsächlich mängelfrei ist.

Dass sich bei einer fehlerhaften Hauptuntersuchung daraus aber
a) keine Rechte gegenüber der Sachverständigenorganisation ergeben, bei der die Hauptuntersuchung durchgeführt wurde, obwohl dieser das Entgelt für die Hauptuntersuchung zu zahlen ist und
b) nur Rechte aus Amtshaftung bestehen, wenn ein – in der Praxis nur schwer nachzuweisendes – amtsmißbräuchliches Verhalten des Prüfers nachgewiesen werden kann
ist in der Bevölkerung wohl praktisch unbekannt.

Als Konsequenz bleibt Käufern, die von Privatpersonen ein Gebrauchtfahrzeug erwerben, insofern nur die Möglichkeit, im Kaufvertrag aufzunehmen, dass das gekaufte Fahrzeug einen neuen „TÜV“ bzw. eine neue „Hauptuntersuchung“ hat. Darin sieht die Rechtsprechung in der Regel eine Gewährleistung des Verkäufers für die Verkehrssicherheit und (weitestgehende) Mängelfreiheit des gekauften Fahrzeugs. Oder es muss eine eingehende (aber meist teurere) Gebrauchtwagenprüfung in Auftrag gegeben werden. Für die ordnungsgemäße Durchführung einer solchen Untersuchung haftet nämlich die Sachverständigenorganisation bzw. beauftragte Werkstatt selbst.

Hier nun die Begründung des Kammergerichts:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 1. August 2013 – 86 0 117/12 – geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
– abgekürzte Fassung –

I.
Die Berufung des Beklagten ist begründet. Der Klägerin steht – abweichend von der Rechtsauffassung des Landgerichts – kein Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu.

1)
Zwar ist dem Landgericht darin zu folgen, dass das beklagte Land auch gegenüber der Klägerin als Erwerberin eines gebrauchten Pkw für etwaige bei der am 22. März 2011 durchgeführten Hauptuntersuchung gemäß § 29 StVZO unterlaufenen Pflichtverletzungen des bei der DEKRA angestellten Sachverständigen lng. H haften würde, obwohl der Klägerin nur Vermögensschäden entstanden sind, sofern dem Zeugen H ein Amtsmissbrauch vorzuwerfen sein sollte. Denn ein amtlich anerkannter Sachverständiger – wie der Zeuge H – handelt im Rahmen der Zuteilung einer Prüfplakette gemäß § 29 StVZO hoheitlich.

Im Falle von Amtsmissbrauch besteht eine umfassende Verantwortung des Dienstherrn gegenüber jedem Betroffenen. Ohne einen Amtsmissbrauch scheidet eine Haftung des Beklagten demgegenüber aus. Denn die Einschaltung des Sachverständigen nach der Straßenverkehrszulassungsverordnung dient dem Schutz der öffentlichen Sicherheit. Die Vorschriften sollen Gefahren abwehren, die der Allgemeinheit drohen können. Die Amtspflichten des amtlich anerkannten Sachverständigen dienen hingegen nicht dem Schutz vor Vermögensschäden, die ein Käufer durch den· Kauf eines mangelhaften Fahrzeuges erleidet (vgl. zum Vorstehenden: BGH, Beschluss vom 30. September 2004-111 ZR 194/04- juris Tz. 4; Urteil vom 11. Januar 1973-111 ZR 32/71 – juris Tz. 22; OLG Hamm, Urteil vom 17. Juni 2009- 11 U 112/08- juris Tz. 12).

2}
Nicht mehr gefolgt werden kann dem Landgericht darin, dass dem Zeugen H ein Amtsmissbrauch vorzuwerfen ist. Das Landgericht hat den Vorwurf des Amtsmissbrauchs damit begründet, dass nach der durchgeführten Beweisaufnahme mit Vernehmung von drei Zeugen davon auszugehen sei, dass sich die Bremsleitung bei der Untersuchung durch den Zeugen H auf einer Länge von mindestens einem Meter, wovon lediglich eine Länge von ca. 10 cm verdeckt gewesen sei, in einem infolge starker Korrosion derart maroden Zustand befunden habe, dass sie als verkehrsunsicher hätte eingestuft werden müssen.

Da der Zeuge H während seiner Vernehmung nur allgemein habe angeben können, dass er annehme, die Bremsleitung aus unterschiedlichen Perspektiven angeschaut zu haben, weil er dies in der Regel so mache, der Zeuge aber auch eingeräumt habe, dass man abgelenkt werden oder aus dem Tritt geraten könne, habe es sich nicht davon überzeugen können, dass der Zeuge H die Bremsleitung im vorliegenden Falle tatsächlich in Augenschein genommen habe, auch wenn dieser es üblicherweise bei Hauptuntersuchungen mache. Dabei habe der Zeuge nicht einmal angeben können, ob eine solche Hauptuntersuchung nach bestimmten Kriterien erfolge. Wenn sich ein Prüfer besonders sicherungsrelevante Anlagen eines Fahrzeuges, wozu eine Bremsleitung unstreitig zähle, nicht einmal anschaue, sei die Durchführung der Hauptuntersuchung sinnlos und ihr Schutzzweck verfehlt.

Die Ansicht des Landgerichts kann aus Rechtsgründen nicht geteilt werden. Darauf, ob das Landgericht die Feststellungen, die auf Wertungen beruhen, ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen hätte treffen dürfen, kommt es nicht mehr an.

a)
Der Schluss von der Feststellung, der Zeuge H habe die Bremsleitung nicht überprüft, zu einem Amtsmissbrauch kann hier nicht gezogen werden. Es ist anerkannt, dass nicht jede schuldhafte unrichtige Amtsausübung einen Amtsmissbrauch darstellt. Vielmehr muss es sich um eine mit den Forderungen von Treu und Glauben und guter Sitte in Widerspruch stehende Amtsausübung handeln. Eine solche ist immer zu bejahen, wenn die Tatbestandsmerkmale des § 826 BGB erfüllt sind.

Zwar kann auch für fahrlässig begangenen Amtsmissbrauch gehaftet werden. Jedoch wird eine grundsätzlich wertneutrale Amtshandlung, auch wenn sie als schuldhafte Amtspflichtverletzung anzusehen wäre, erst dann zum Amtsmissbrauch, wenn zu dem Verhalten des Amtsträgers noch ein weiterer Umstand hinzutritt, der dieses Verhalten als einen Verstoß gegen Treu und Glauben und die guten Sitten erscheinen lässt (vgl. BGH, Urteile vom 2. Juli 1970- 111 ZR 146/69 – juris Tz. 24; vom 18. Oktober 1962 – 111 ZR 134/61 – MDR 1963, 287 f.).  Geschützt wird eine nachteilige sitten- oder treuwidrige Einwirkung auf die Vermögenslage in ihrer Gesamtheit (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 1984- III ZR 111/83- juris Tz. 32).

Im hiesigen Fall ist das – vom Senat als wahr unterstellte – Unterlassen der Untersuchung der Bremsleitung grundsätzlich wertneutral. Ein weiterer Umstand, der das wertneutrale Unterlassen zum Amtsmissbrauch machte, ist nicht zu erkennen. Soweit sich das Landgericht maßgeblich auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 17. Juni 2009 – 11 U 112/08 – gestützt hat, in der ein Amtsmissbrauch mit der Begründung zugrunde gelegt wurde, der Prüfer habe bei der durchgeführten Hauptuntersuchung die Gasanlage pflichtwidrig nicht untersucht, wobei er seine dienstlichen Pflichten bewusst vernachlässigt habe (Juris Tz. 14), ist hier kein vergleichbarer Sachverhalt gegeben.

Das Landgericht konnte gerade nicht feststellen, dass der Zeuge H seine Pflichten bewusst vernachlässigte. Denn das Landgericht hat seine Angabe, wenn er die Bremsleistung tatsächlich nicht untersucht haben sollte, er dies nur damit erklären könne, dass er abgelenkt worden und dadurch aus dem Tritt geraten sei, in die Würdigung einbezogen und nicht als unglaubhaft bewertet. Wenn aber eine Prüfung deshalb nicht vorgenommen wird, weil der Prüfer abgelenkt wurde, liegt kein bewusstes Handeln, sondern ein Versehen vor.

Damit entfernte sich der Zeuge H aber nicht so weit von seinen Amtspflichten, dass eine Amtshaftung aus dem Gesichtspunkt des Amtsmissbrauchs in Erwägung gezogen werden könnte. Selbst wenn, was indes nicht entschieden werden muss, grobe Fahrlässigkeit Amtsmissbrauch nahelegen könnte, fehlte es hier an einem hierfür erforderlichen subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß des Zeugen H gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Ein – gegebenenfalls – objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes personales Verschulden, welches das in § 276 Abs. 1 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2008- VI ZR 212/07- juris Tz. 35).

b)
Auch der zur Begründung von Amtsmissbrauch herangezogene Ansatzpunkt des Landgerichts, es handele sich bei der Bremsleitung um eine besonders sicherungsrelevante Anlage, überzeugt nicht. Die DEKRA muss bei allen wesentlichen Mängeln des zu prüfenden Fahrzeuges, welche die Verkehrssicherheit desselben betreffen, eine Prüfplakette versagen, weshalb die Frage des Amtsmissbrauchs nicht danach beantwortet werden kann, welche Mängel übersehen wurden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 30. September 2004 – 111 ZR 194/04 – juris Tz. 5, 6). Jedenfalls genügte dies ohne das Hinzutreten weiterer Umstände, die auf einen treu- oder sittenwidrigen Eingriff des Zeugen H schließen lassen, nicht. Solche Umstände fehlen.

c)
Soweit das Landgericht ausgeführt hat, der Zeuge H habe noch nicht einmal angeben können, ob eine Hauptuntersuchung nach bestimmten Kriterien erfolge, ist dies – auch nach dem Vortrag der Klägerin – dem Sitzungsprotokoll über die Vernehmung vom 7. März 2013 nicht zu entnehmen. Danach – und nach dem Vortrag der Klägerin – hat der Zeuge im Gegenteil bekundet, dass es einen Kriterienkatalog für die Prüfung zur Hauptuntersuchung gebe. Er konnte ihn lediglich (in der mündlichen Verhandlung) nicht benennen. Aber auch wenn der Zeuge generell nicht wissen sollte, wo sich der Kriterienkatalog im Gesetz findet – das Gesetz wurde im Übrigen im Laufe der Jahre insoweit mehrfach geändert -, folgte daraus kein Amtsmissbrauch.

Maßgeblich ist, dass der Zeuge H weiß, dass die Bremsleitung bei einer Hauptuntersuchung zu untersuchen ist. Davon, dass er über dieses Wissen verfügt, ist auch das Landgericht ausgegangen, da es dem Zeugen geglaubt hat, dass dieser regelmäßig die Bremsleitungen bei Hauptuntersuchungen untersucht. Ebenso wenig kann – entgegen der Ansicht der Klägerin – aus dem Satz des Zeugen „Es besteht auch die Möglichkeit zu Ergänzungsuntersuchungen, ab wann diese anhand welcher Kriterien vorgenommen werden müssen oder sollen, kann ich so nicht sagen“ ein Amtsmissbrauch hergeleitet werden.

Die Antwort des Zeugen, dem bei seiner Vernehmung kein Gesetzestext vorlag, ist nicht zu beanstanden. Nach der Anlage VIlla zu § 29 StVZO liegt die Entscheidung, ob zusätzlich zur Pflichtuntersuchung eine Ergänzungsuntersuchung durchzuführen ist, im pflichtgemäßen Ermessen des Sachverständigen. Es gibt diesbezüglich keine festen Kriterien. Unabhängig davon hat die Klägerin selbst nicht behauptet, der Zeuge H habe Ergänzungsuntersuchungen, die notwendig gewesen wären, unterlassen.

3)
Betreffend die anderen von der Klägerin vorgetragenen Mängel, die der Zeuge H angeblich nicht erkannt haben soll, ist erst recht nicht ersichtlich, dass ein amtsmissbräuchliches Verhalten vorliegt. Auch das Landgericht hat insoweit keinen Amtsmissbrauch erkannt. Es findet auch an dieser Stelle der Grundsatz Anwendung, dass der amtlich anerkannte Sachverständige für den Kraftfahrzeugverkehr keine einem Erwerber des Fahrzeuges obliegende Amtspflicht verletzt, wenn er fahrlässig Mängel übersieht (vgl. BGH, Beschluss vom 30. September 2004- III ZR 194/04- juris Tz. 4).

Folglich kommt es nicht mehr darauf an, dass nach dem eigenen Vortrag der Klägerin diese in Kenntnis der weiteren von ihr vorgetragenen Mängel das Fahrzeug nutzt und auch bei der jüngsten Hauptuntersuchung im Jahr 2013 viele dieser Mängel nicht als solche erkannt oder beanstandet wurden.

II.
Die prozessualen Nebenentscheidungen haben ihre Rechtsgrundlagen in § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO (Kosten) sowie §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO (vorläufige Vollstreckbarkeit). Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht vorhanden (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Ob eine Handlung bzw. ein Unterlassen Amtsmissbrauch darstellt, ist eine Frage des Einzelfalles.