Verjährung von Schmerzensgeldansprüchen bei sexueller Gewalt

Ein trauriges Beispiel dafür wie in der Presse die Rechtsprechung fehlinterpretiert wird, liefert ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 4. Dezember 2012 (Az.: VI ZR 217/11).

Der Focus, die Zeit,die Süddeutsche Zeitung, die taz, die Berliner Zeitung und diverse andere Medien berichteten, dass traumatisierte Opfer von sexueller Gewalt  auch nach Ablauf der Verjährungsfrist zivilrechtlich Ansprüche auf Schmerzensgeld geltend machen können.

Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich: Hat der Bundesgerichtshof die Verjährungsvorschriften bei Sexualdelikten umgeworfen? Die Antwort lautet: leider nein. Auch der Bundesgerichtshof kommt nicht an den Gesetzen vorbei.

Man kann nur hoffen, dass sich Opfer von sexueller Gewalt nicht auf die gut gemeinten Presseberichte verlassen, sondern rechtzeitig ihre Ansprüche geltend machen.

Der von Bundesgerichtshof entschiedene Fall war ein speziell gelagerter Ausnahmefall. Was die Presse zumindest noch teilweise erwähnt, aber nicht richtig einzuschätzen vermochte:

Das Opfer war zwischen 1985 und 1990 mehrfach sexuell missbraucht worden, hatte aber infolge einer durch die Verletzung erlittenen Amnesie keine Erinnerung an das Geschehen und erinnerte sich erst bei einer Familienfeier im Jahr 2005 wieder daran. Dies war auch durch ein vom Landgericht Osnabrück eingeholtes psychiatrisches Sachverständigengutachten bestätigt worden.

Dadurch dass das Opfer keine Erinnerung an das Geschehen hatte, konnte es natürlich auch keine Schmerzensgeldansprüche geltend machen. Damit fehlte es an der gemäß § 199 Abs. 1 BGB erforderlichen Kenntnis des Opfers von der Entstehung des Anspruchs und den Umständen, die den Anspruch begründen.

In den allermeisten Fällen bleibt den Opfern allerdings nur allzu gut im Gedächtnis, was bei dem sexuellen Mißbrauch geschehen ist. Dann gilt aber die dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB.

Nur bei sexuellem Mßbrauch  von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden ist die Verjährung bis zum Ablauf des 21. Lebensjahres gehemmt oder bei bestehender häuslicher Gemeinschaft bis zur Beendigung der häuslichen Gemeinschaft (§ 208 BGB). Auch in diesen Fällen läuft aber ab diesem Zeitpunkt dann die dreijährige Verjährungsfrist.

Daher können Opfer von sexueller Gewalt in der Regel keine Ansprüche auf Schmerzensgeld nach Ablauf der Verjährungsfrist geltend machen. Man kann Opfern von sexueller Gewalt daher nur dringlichst anraten, rechtzeitig einen kompetenten Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung der Interessen zu beauftragen.

[Ergänzung vom 14. Februar 2013 aufgrund eines Leserkommentars:

Die Verjährung von Ansprüchen wird im gerichtlichen Verfahren nur berücksichtigt, wenn sich der Täter darauf beruft. Es handelt sich dabei rechtstechnisch um eine sog. Einrede. Beruft sich der Täter nicht auf die Verjährung von Ansprüchen, wird er   zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt – sofern die Klage begründet ist.

Man muss jedoch in der Regel davon ausgehen, dass sich der Täter bzw. dessen Anwalt/Anwältin auch auf Verjährung berufen wird, wenn dies möglich ist. Dann wird die Klage allein wegen der Verjährungseinrede abgewiesen.

In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatte sich der Täter auch auf Verjährung berufen. Die Verjährung hatte aber ausnahmsweise erst im Jahr 2005 zu laufen begonnen, da sich das Opfer nachweislich erst dann wieder an die Taten erinnert hatte. Die im Jahr 2008 eingereichte Klage war damit rechtzeitig und ausnahmsweise keine Verjährung eingetreten.

Der anwaltliche Rat kann daher nur lauten, rechtzeitig die Ansprüche geltend zu machen.]