„Alles kann besser werden“ – Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu Filesharing

Über das Musikalbum „Alles kann besser werden“ ist ein Rechtsstreit geführt worden, der vom 1. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit dem jetzt veröffentlichten Beschluss vom 19. April 2012 (Az. I ZB 80/2011) entschieden worden ist. Leider wird mit diesem Beschluss nicht alles besser werden, jedenfalls nicht bei der Frage, wie das Urheberrecht im digitalen Zeitalter geregelt wird.

Worum ging es in dem Rechtsstreit? Ein Musikvertriebsunternehmen hat das ausschließliche Recht, Tonaufnahmen von dem Musikalbum „Xavier Naidoo – Alles kann besser werden“ zu veröffentlichen. Eine von ihr beauftragte Firma hat mit einer Software festgestellt, dass von bestimmten Internetanschlüssen (IP-Adressen) einer der Titel dieses Albums über eine Online-Tauschbörse anderen Nutzern zum Herunterladen angeboten wurde.

Gemäß § 101 Abs. 9 UrhG hat das Musikvertriebsunternehmen daher gerichtlich beantragt, dass der Internetprovider Auskunft über Namen und Anschrift der Nutzer erteilen soll, denen die festgestellten IP-Adressen zugeordnet waren. Sowohl das Landgericht Köln als auch das Oberlandesgericht Köln haben diesen Antrag abgelehnt.

Zur Begründung hat das Oberlandesgericht Köln ausgeführt, dass die erforderliche Rechtsverletzung im gewerblichen Ausmaß im vorliegenden Fall nicht gegeben war. Es sei nur ein einzelner Titel aus dem Album zur Verfügung gestellt worden, auch sei das Album bereits zwei Jahre veröffentlicht und der betreffende Titel auch fast ein Jahr ausgekoppelt gewesen.

Dagegen hat das Musikvertriebsunternehmen Beschwerde zum Bundesgerichtshof eingelegt, welcher erstaunlicherweise der Beschwerde stattgegeben hat. Erstaunlich ist dies deshalb, weil im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich zur Begründung der gesetzlichen Regelung vermerkt wurde, dass ein Auskunftsanspruch nur dann bestehen soll, wenn eine Rechtsverletzung im gewerblichen Ausmaß erfolgt.

Einzelne Rechtsverletzungen durch private Nutzer sollten vom Anwendungsbereich des § 101 UrhG ausgenommen sein. Immerhin ist in diesem Zusammenhang das Grundrecht auf Schutz des Post und Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 Abs. 1 GG zu beachten.

Die Oberlandesgerichte hatten sich dann in ihrer Rechtsprechung auch an der Gesetzesbegründung orientiert.

Anders nun der erste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, der wörtlich ausführt:

„Der Wortlaut des § 101 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 UrhG bietet keinen hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Anspruch auf Auskunft gegen die Person, die im gewerblichem Ausmaß für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbrachte, nur unter der einschränkenden Voraussetzung besteht, dass die rechtsverletzenden Tätigkeiten gleichfalls ein gewerbliches Ausmaß hatten.“

Ein juristisches Satzungetüm vom Feinsten. Dazu fällt mir auch eine Äußerung eines bekannten Kabarettisten ein: “ Wenn Sie diesen Satz verstanden haben, dann hat er seinen Zweck verfehlt.“

Worum es vorliegend geht, ist folgendes: § 101 Abs. 2 UrhG regelt Voraussetzungen, wann ein Auskunftsanspruch bestehen kann. Der Wortlaut besagt, dass ein Auskunftsanspruch unter anderem dann besteht, wenn eine Person im gewerblichen Ausmaß für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbracht hat.

Der 1. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs sagt nun, dass der Begriff „in gewerblichem Ausmaß“ sich nicht auf den Begriff der „Rechtsverletzung“ bezieht, sondern auf den Begriff des Erbringens von Dienstleistungen.

Wer diese Unterscheidung nicht versteht, sollte sich nicht wundern: es gibt da nichts zu verstehen. Der 1. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs ignoriert einfach den Gesetzeswortlaut und den Willen des Gesetzgebers.

Selbst wenn man der Unterscheidung zwischen „Rechtsverletzung“ und „erbrachter Dienstleistung“ folgt, wäre immer noch Voraussetzung für den Auskunftsanspruch, dass Dienstleistungen im gewerblichen Ausmaß erbracht werden.

Dies übergeht der 1. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs jedoch in seinem Beschluss, der sich ausschließlich mit der „Rechtsverletzung“ befasst und dafür einen umfassenden Auskunftsanspruch gewähren will.

Private Nutzer, die eine urheberrechtlich geschützte Datei zum Herunterladen anbieten, erbringen jedoch keine Dienstleistung im gewerblichen Ausmaß.  Bereits daran zeigt sich, dass die Unterscheidung zwischen „Rechtsverletzung“ und erbrachter Dienstleistung künstlich ist und offenkundig nur dem Zweck dient, zu verschleiern, dass der Wortlaut des Gesetzes ignoriert wird.

Es wird insofern interessant sein, zu sehen, wie das Bundesverfassungsgericht diese „Auslegung“ des Bundesgerichtshofs beurteilt, wenn dort eine Verfassungsbeschwerde von einem Nutzer erhoben wird.

Unabhängig davon erinnert der Kampf der Unterhaltungsindustrie gegen Filesharing an das Wettrennen zwischen Hase und Igel: der Hase kann noch so schnell rennen, der Igel ist immer schon da.

Anstatt das Internet als Chance zu begreifen und Angebotsplattformen aufzubauen, wird ein von vornherein aussichtsloser Kampf geführt, der niemandem nutzt. Es bleibt zu hoffen, dass sich irgendwann die Vernunft durchsetzt und eine vernünftige Lösung gefunden wird, so dass die „Abmahnindustrie“ ein Ende findet. Eine Kulturflatrate könnte  z.B.  eine für alle Beteiligten gute Lösung sein.